In Avignon ausgestellte Bischofsammelindulgenzen, deren Initialen lediglich in der Farbe der Schreibertinte gehalten sind.

Dabei sind zwei zeitlich voneinander entfernte Phasen auszumachen:
Zunächst handelt es sich um die zeitlich frühesten, in Avignon ausgestellten Bischofsammelindulgenzen; zur vorherigen Entwicklung s. Voravignoner Bischofsammelindulgenz. Wie auch in Italien nach dem Jubeljahr 1300 sind die ersten Indulgenzen aus Avignon nur spärlich überliefert und wohl auch nur wenig produziert worden. Der früheste Ablassbrief aus Avignon ist 1311 Juli 5 für die Stiftskirche in Essen ausgestellt worden (Delehaye 1927, S. 327). Diese schlecht erhaltene Urkunde dürfte jedoch noch hinter römische Beispiele das zurückgegangen sein. Es scheint, als müssten sich die Schreiber der besonderen Aufgaben, die eine so grosse und wohl auch öffentlich präsentierte Urkunde stellt, erst wieder nähern. Die Experimente, die man insbesondere in den Jahren 1295-97 unternahm, sind nicht präsent (siehe Schreiber mit den Drolerien). Hat demnach keiner der mit dem Schreiben von Sammelindulgenzen Betrauter der päpstlichen Kanzlei den Umzug nach Avignon mitgemacht? Die nächste, bisher bekannte Urkunde, 1313 für St. Gertrud in Klosterneuburg, liefert in etwa das, was man in Rom 1300 für Regensburg ausgeführt hat, freilich mit einer Tendenz zu dekorativen Kreisen, die im Bogen von Buchstaben untergebracht werden. Eine erste eigenständige Gestaltungsidee zeigt sich mit dem Zeichner der Initiale von 1314 April 1 für Kiechlinsbergen: Die U-Initiale weist eine besondere Gestaltungsform auf, die man bei einigen weiteren Bischofsammelindulgenzen bis 1323 September 20 für Allendorf beobachten kann, sie ist aus Kreissegmenten geformt, während die erste Zeile in gesperrter Elongata geschrieben wird. Offensichtlich hat man für die Konstruktion einen Zirkel benutzt, denn Einstichstellen sind noch sichtbar (z. B. 1319 März für die Braunschweiger Michaelskirche). Diese Buchstaben büssen zugunsten des Spiels mit Rundungen, Schnittmengen und Tangenten häufig ihre Lesbarkeit ein. Gleichzeitig entfalten sie eine Ästhetik, die an Jugendstil-Typographie denken lässt und deren Abstraktionsgrad letztlich radikaler ist s. (Zeichner der kreisförmigen U-Initiale). Ob es sich dabei um einen bestimmten Schreiber handelt oder eine in der Werkstatt von mehreren genutzte Praktik, muss noch entschieden werden. Neben dieser besonders eleganten Dekoration sind aber auch Kontinuitäten mit Initialen mit Aussparungen zu beobachten (z. B. 1317 Jänner 22 für das Wiener Schottenkloster).
Spätestens 1323 März 10, mit dem Ablass für Maiden Bradley, kommt ein deutlich erkennbarer neuer Mitarbeiter in die Werkstatt der Avignoner Bischofsammelindulgenzen. Seine Initialen haben vor allem im rechten Schaft Aussparungen, die an Masswerkfenster erinnern (Zeichner mit den Masswerkmotiven). Der Übergang zu den Illuminierten Avignoner Bischofsammelindulgenzen ist fliessend, wie es auch auffallend ist, dass ältere Gestaltungsprinzipien in neue Dekorationsformen aufgenommen werden, z. B. 1325 Dezember 8 für Maria Saal in Brünn, wo das das kreisrunde „U“, das an den Zeichner der kreisförmigen U-Initiale erinnert, vom Zeichner mit den Masswerkmotiven im Binnenfeld mit der modernen Vera Ikon geschmückt wird.
Nach 1348, mit der letzten bisher bekannten Urkunde mit historisierter Initiale aus der Werkstatt der Avignoner Bischofsammelindulgenzen, beobachtet man neuerlich lediglich U-Initialen, die vom Schreiber dekoriert wurden (z. B. 1359 September 15 für Spachbruchen, vgl. Unilluminierte Avignoner Bischofsammelindulgenz).
Gabriele Bartz
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