Die Kanzlei unter Charles IV (le Bel, 1322- 1. Februar 1328)
Nachdem Philippe le Long ohne Erben gestorben war, erhielt der dritte Sohn von Philippe
IV (le Bel, 1285-1314) die Krone. Während der sechs Jahre währenden
Regentschaft von Charles IV (le Bel, 1322-1328) sind die bisherigen Funde
illuminierter Urkunden erstaunlich divers. Die Kontinuitäten der Schreiber/
Zeichner der Kanzlei beschränken sich auf den Zeichner mit der Krone und einen weiteren, von dem bisher nur die
Urkunde vom 2. Dezember 1323 bekannt ist.
Die Schreiber/ Zeichner der Kanzlei hatten sich seit Langem wieder einmal mit
Charles oder Karolus
auseinanderzusetzen. Der Zeichner mit der Krone hat einen überzeugenden
Entwurf mit Flechtbandaussparung und Halbpalmetten gefunden (z. B. im August 1322, Abb. 1). Wieder andere tun sich mit der Gestaltung schwer, so etwa im Juli 1322, wo aussen – wie letztlich beim weitaus früheren Nachfolger des Wildschweinzeichners – begleitender Zierrat
angebracht ist. Ein Versuch am 22. Mai 1323, die K-Initiale mit Fleur-de-lys zu schmücken (Abb. 2), ist ebenso wenig geglückt;
stimmiger schon sind die Urkunden vom 20. Januar 1325 und November 1326. Meisthin erscheinen die einfachen Urkunden mit einem
verlängerten Schaft, um der Initiale Gewicht zu verleihen.
Die bisher früheste französischsprachige Urkunde vom Februar 1322 zeigt ebenfalls Schwierigkeiten, der einzelnen
C-Initiale eine angemessene Dekoration zu geben: Dichte Bogenreihen innen
und ein wie ein Federbüschel abstehendes florales Motiv oben wirken
fehlgeleitet. Eine einzige C-Initiale vom 19. April 1326 wartet mit figürlichem Schmuck auf; es ist das
früheste Werk des Zeichners der Douaires, der unter Philippe VI die Produktion von
illuminierten Urkunden bestimmen wird. Zum Kürzel „Ch“, das unter Charles V
(le Sage, 1364-1380) die Regel werden wird, sind bisher nur zwei Versuche
bekannt. Im April 1326 werden die beiden Anfangsbuchstaben üppig mit Fleuronnée
bedacht (Abb. 3) und im Juni 1327 gibt es einen eher lustigen Versuch, wo im Spatium ein (sinnloses) Manikulum untergebracht
ist.
Im Juli 1327 betritt der Zeichner mit den langen Halbpalmetten die
Bühne; seiner K-Initiale fehlt es an Leichtigkeit. Es scheint, als hätten
die Schreiber/ Zeichner der Kanzlei grosse Mühe gehabt, sich mit der neuen
Aufgabe der „neuen“ Königsinitialen anzufreunden – etwas, was man auch schon
zu Zeiten des ältesten Bruders des Königs, in der Kanzlei von Louis X (le Hutin, 1314-1316) beobachten
konnte.
Gabriele Bartz
(Stand: März 2023)