In Avignon ausgestellte Bischofsammelindulgenzen, deren Initialen figürlich mit Farben gestaltet sind. Bisher nachweisbar ab Juni 1328, bis zum Ende der Werkstatttätigkeit im März 1348.

Das Binnenfeld ist zunächst der Darstellung einer segnenden Christusbüste gewidmet. Das erste bisher bekannte Auftreten der Christusbüste, 1328 Juni 7 für Zoutleeuw, erweist sich dabei gleich als früher Beleg auf dem Weg zum Rahmentyp. Die Geschwindigkeit, mit der man sich wohl den Wünschen der Besteller entsprechend auf andere Sujets verlegt, zeigt 1329 Oktober 24 für Benninghausen, wo eine thronende Maria mit Kind das Binnenfeld schmückt. 1330 treten weitere figürliche Motive (ikonographische Diversifizierung) auf, deren Thema sich in erster Linie von dem Patrozinium der begünstigten Kirche herleitet. Gleichzeitig – mit bisher zwei bekannten Beispielen (1328 Mai 12 für die Wiener Pankraz-Kapelle und 1329 Jänner 17 für die Johanneskapelle in Villich – probiert man auch farbige Initialen ohne Historisierung aus, wobei 1328 Mai 12 die Christusbüste im linken Buchstabenschaft unterbringt.
Die bisher früheste, im Original überlieferte Sammelindulgenz mit einer farbigen Initiale ist 1328 Mai 12 für die Wiener Pankraz-Kapelle, dort ist die Binnenfeldfüllung jedoch aus Ranken und einem Mischwesen gestaltet, während die Vera Ikon im linken Schaft Platz findet. Die Buchstabengestaltung ist fortan von floralen (selten zoomorphen) Aussparungen vor farbigem Grund gekennzeichnet, wobei Rot und Grün dominieren. Dies stellt ein für die Fleuronnée-Initialen in Handschriften charakteristisches Motiv dar, dessen Ursprünge sicher nicht in Avignon, sondern in der Entwicklung Mitteleuropas (Oberrhein bis Österreich, Rheinlande, Schlesien) zu suchen sind. In den späten 1320er Jahren stellen Aussparungen floraler und zoomorpher Motive eine moderne Stilinnovation dar.Das Layout bleibt bis 1330 in etwa gleich: Die Höhe der U-Initiale variiert, greift auf den linken Rand aus, doch ist sie immer so in den Textblock eingepasst, dass ihre Höhe nicht über die erste Zeile hinausgeht oder gar tiefer endet. Im bisher bekannten Material ist es die Initiale 1331 September 15 für Cembra, die tiefer als die erste Zeile endet. Wohl wegen der Schwierigkeit, den Text einzurichten, blieb der Versuch, auch im Textblock noch historisierte Initialen vorzusehen, mit 1330 November 12 für Gent eine isolierte Erscheinung. Nur bei raren Beispielen hat man den sonst für die grosse U-Initiale vorgesehenen Raum mit einer Miniatur gefüllt: 1333 Februar 23 für das Johannesstift in Osnabrück als Teil des Bildrahmens oder z. B. 1335 Juli 5 für Kloster Zeven).
Bei allen Avignoner Bischofsammelindulgenzen sind die zeitlichen Einteilungen von den bisherigen Funden bestimmt, doch können Neufunde diese Ergebnisse stets relativieren. 1331 Oktober 15 für Cembra beispielsweise steht bis jetzt in der Überlieferung bisher recht isoliert, zeigt die Urkunde doch Neuerungen, wie die aus den Initialen der ersten Zeile ausstrahlenden Blattranken, die vermehrt erst in den 1340er Jahren anzutreffen sind. Auch die Heiligen, die dort die Buchstabenschäfte bevölkern, tauchen hier zum ersten Mal auf, doch ist die Ausführung mit der hinter dem Initialkontur weitergeführten Figur schon so ausgefeilt, dass man sicher von früheren, verlorenen Beispielen ausgehen kann.
Ähnlich verhält es sich neben Zoutleeuw mit 1332 September 1 für Zürich, wo am linken Rand unterhalb der U-Initiale ein Bildfeld für den bestätigenden Bischof der Heimatdiözese eingerichtet ist: Dazu hat man das Initialfeld der U-Initiale auf den Rand so ausgedehnt, dass das Bildfeld für den Bischof darunter nahtlos anschliessen kann. Schon einen Monat später, 1332 Oktober 15 für Lahnstein begegnet zum erstem Mal das Layout des voll ausgeprägten Rahmentyps, der es ermöglicht, eine grosse Anzahl von Heiligen, aber auch Bittsteller, auf der Urkunde bildlich zu verewigen. Die Möglichkeit, den Petenten mit in die Darstellung einzubeziehen, findet sich auch bei Ablässen mit der Christusbüste; bisher frühestes Beispiel ist 1331 Jänner 25 für Kloster Echternach, bisher frühestes Zeugnis eines Ablasses mit Bittsteller ist 1323 Juni für den Dom zu Trier, danach 1330 September 1 für Dinant.
Fortan ist der Auswahl der Illuminierung nur die Grenze der pekuniären Kapazität der Bittsteller gesetzt. Neben dem vollen Bildstreifen am Rand können es auch nur einzelne Bildfelder sein. Doch auch dieses Layout wird durch Experimente aufgebrochen; 1335 Juli 5 für Kloster Zeven) erscheint erstmals ein Bittsteller ohne Bildfeld neben der Initiale, das nächste Mal ist es erst 1336 September 15 für das Kloster Ahnaberg zu beobachten. Ab 1340 Oktober 20 für Heilbronn beginnt diese Dekorationsform der Ablässen neben dem Rahmentyp zu existieren.
Kann man sich bei der Kreuzigung im Binnenfeld 1330 November 12 für die Kartause von Gent noch fragen, ob sie am Empfängerort verschönert oder sogar ausgeführt wurde, ist bei anderen historisierten Avignoner Bischofsammelindulgenzen das Einwirken am Bestellerort leichter zu erkennen (vgl. Dekoration beim Empfänger): 1331 Mai 12 für St. Laurenz in Wien ist zu einem späteren Zeitpunkt, im 15. Jahrhundert, überarbeitet worden. 1333 Mai 20 für St. Gallen zeigt eine Überarbeitung der Initiale, und man hat vor Ort einen Bildstreifen oben hinzugefügt. 1337 Jänner 4 für Münnerstadt wurde vor Ort mit stärkerer Farbe versehen.
Dekorationen, die ausschliesslich beim Empfänger durchgeführt wurden, sind in der 1330er Jahren selten. Eine Ausnahme ist die Indulgenz 1331 Februar 26 für Albi, die den besonderen Ansprüchen des dortigen Bischofs (der auch der Bittsteller gewesen sein mag) genügen musste und wohl ausserhalb der Werkstatt der Avignoner Bischofsammelindulgenzen in einer Buchmalerwerkstatt illuminiert wurde.
Offenbar hat es, seit man begann, die Bischofsammelablässe in Avignon mit farbigen Illuminationen zu versehen, auch „Blanko“-Versionen gegeben, unilluminierte Stücke (Unilluminierte Avignoner Bischofsammelindulgenz), bei denen davon ausgegangen wurde, dass sie am Empfängerort mit Dekorationen versehen werden würden (bisher frühestes bekanntes Zeugnis: 1333 August 20 für Kaiserstuhl).

In den 1330er Jahren entwickelte sich die U-Initiale wieder von der Lesbarkeit des Buchstabens weg hin zum reinen Bildrahmen: Die Buchstabenschäfte wurden breiter, um Figuren aufnehmen zu können, die Rundung unten kaum ausgeführt, damit im Binnenfeld eine ansprechende Bildfläche entsteht (z. B. 1335 Oktober 22 für das Berner Spital). Oft genug begegnet man der erstmals bei Cembra beobachteten Lösung für den linken Schaft, der nur als Kontur über die Figur geführt wird (z. B. 1336 Jänner 10 für Asbach). Zwar ist durch diese Tendenz, der gemalten Dekoration mehr Raum zuzugestehen, der Buchstabe nicht mehr gut erkennbar, doch ergeben sich bei der Illuminierung Gestaltungen, die an Triptychen erinnern (z. B. 1337 August 3 für Göttweig). Dass tatsächlich Assoziationen mit Tafelmalerei angestrebt waren, legt die Initiale in 1333 Jänner 18 für Kirchberg nahe, denn dort scheint es, als sei die Bildfläche des Binnenfeldes wie ein Tafelbild mit einem Haken versehen. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass im Ablass für Kirchberg die Heiligen in den Buchstabenschäften wie Skulpturen auf Postamenten stehen.
Der nächste Innovationsschub – auch bei den Entwürfen für die Figuren - ist zu Beginn der 1440er Jahre zu verzeichnen, der durchaus in Zusammenhang mit dem Eintritt eines oder mehrerer neuer Mitarbeiter in die Werkstatt der Avignoner Bischofsammelindulgenzen zusammenhängen mag. Man beginnt den Blattrankentyp zu entwickeln, bei dem keine Figuren, sondern grossformige Blattranken die Randdekoration bestimmen. Beim bisher frühesten Beispiel, 1342 Juli 1 für Tournai, sind es noch einzelne spiralig geführte Ornamente, die etwas ungelenk zwischen historisierten Initialen hervorkommen. Voll ausgeprägt findet sich diese Dekoration erstmals 1344 April 28 für Frauenberg.
Mit 1348 März 5 für das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg endet im bisher gesichteten Bestand die Produktion historisierter Avignoner Bischofsammelindulgenzen.
Gabriele Bartz
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