Die Kanzlei unter Philippe VI (de Valois, 29. Mai 1328 - 22. August 1350)
Als erster König aus dem Haus Valois ist Philippe VI auf Charles le Bel, dem letzten Kapetinger, gefolgt. Während seiner Regentschaft erfuhr die Illuminierte Königsurkunde in Frankreich eine erste Blüte. Die Kontinuitäten der Schreiber/Zeichner der Kanzlei beschränken sich auf den Zeichner mit der Krone, der seit Philippe le Bel dort nachweisbar ist, und auf den Zeichner mit den langen Halbpalmetten, der unter Charles le Bel seine Tätigkeit begann. Die prägende Figur jedoch ist der Zeichner der Douaires (Abb. 1), von dem ebenfalls eine Urkunde aus der Zeit des Charles le Bel bekannt ist (19. April 1326). Neben diesen Stilgruppen ist eine grosse Vielfalt der Dekoration zu verzeichnen.
Begreiflicherweise orientiert sich die Dekoration der Ph-Initialen an dem, was bereits unter Philippe le Bel und Philippe le Long gemacht worden ist; damit ist gewissermassen ein leicht wiedererkennbares Zeichen für eine Königsurkunde entstanden. In der Kanzlei des Philippe le Bel ist schon mit dem heraldischen Zeichen der Fleur-de-lys am Kürzungszeichen experimentiert worden; wahrscheinlich ist es dem Zeichner der Douaires zu verdanken, die Dekoration einer einfachen – und dennoch historisierten – Urkunde mit nach unten zeigender Königslilie erfunden zu haben (z. B. November 1337, Abb. 2). Von diesem Typus wird es wesentlich mehr Urkunden geben, als in der Sammlung verzeichnet sind.
Neben den Konstanten aber erweist sich die Kanzlei als innovativ: Es werden kleinteilige Aussparungen neben Hohlbuchstaben probiert (z. B. im Februar 1329), eine erste Figureninitiale entwickelt (November 1337), mit der Form des Kürzels experimentiert, Mustergrund heraldisch aufgewertet und das Layout der ersten Zeile verändert (Januar 1338). Neben diesen beiden Urkunden – bisher Einzelerscheinungen – sind am 25. Januar 1337 und im Juli 1339 filigranes Fleuronnée zur Schaffung einer Art Initialfeld eingesetzt worden, am 23. April 1343 ist der h-Schaft – zukunftsweisend – von einer Krone überhöht; der Zeichner des Ph mit Blättern an den Ausläufern bringt naturalistische Elemente in die Dekoration.
Viele der während der Regentschaft von Philippe VI entwickelten Dekorationselemente haben Einfluss auf die Kanzlei unter Jean le Bon, aber auch auf die unter Charles V, wie z. B. die Urkunde vom Februar 1347 mit ihrem kleinteiligen Mustergrund (Abb. 3). Die für die Regentschaft stilbildende Gruppe stellt die um die Veränderungen des Douaires für Königin Jeanne de Bourgogne dar, bei der erste Historisierungen ebenso auftreten wie Jagdmotive und Grotesken (Abb. 1), deren Herkunft aus der Buchmalerei zu vermuten ist.
Philippe de Valois hat dem Medium der illuminierten Urkunde entschiedene Impulse gegeben und ihre Wirkung für Familie, Verbündete und andere politische Botschaften zu nutzen gewusst.
Gabriele Bartz
(Stand: April 2023)