Avignoner Bischofsammelindulgenz, bei der im Binnenfeld der Initiale das Abbild Christi als Federzeichnung abgebildet ist. Bisher nachweisbar 1325-1327.

Die Darstellung einer Vera Ikon, also des wahrhaften Abbilds Christi, das nicht von Menschenhand geschaffen wurde, hat im Jubeljahr 1300 in Rom seinen Siegeszug angetreten (Zu dem Phänomen s. Martin Roland in: Roland, Zajic 2013, S. 308-322, bes. S. 317f). Bei der Dekoration der Avignoner Bischofsammelablässe tritt das Motiv jedoch erst im bisher bekannten Material isoliert 1323 Mai 11 für Saint-Martin-de-Picquigny auf. Wie Roland überzeugend überlegte, möchte der Impuls für die Illuminierung – und im bisher bekannten Bestand ersten Historisierung – des Sammelablasses für Picquigny in der Tradition der Bischöfe Heinrich von Virneburg und Adolf (VIII.) von der Mark zu suchen sein. Die Wahl der Vera Ikon dürfte dabei als Reminiszenz an Rom zu werten sein; dort hatte das letzte Jubeljahr stattgefunden, von dort brachten die Pilger Zeichen mit.
Erst 1325 Dezember 8 für Maria Saal in Brünn beginnt die häufigere Verwendung der Vera Ikon. Allerdings hat dieses Sujet im Binnenfeld der U-Initiale nicht lange Bestand, bisher können wir ihr letztes Vorkommen 1328 Jänner 12 kopial nachweisen. Doch müssen die Verluste hoch sein. Neben die Schreibertinte gesellen sich zunächst zarte Farben, wie Gelb und Rosa (1326 April 25 für Rheydt). Nach dem Befund des momentan gesichteten Bestands hat überhaupt nur ein Zeichner, der Zeichner mit den Masswerkmotiven, sich der Vera Ikon im Binnenfeld bedient. Auch im Ablass für Picquigny findet sich im Textblock eine Initiale mit Aussparungen (freilich ohne das bärtige En-face-Gesicht), die seinen überraschend ähnlich sieht (vgl. z. B. 1325 Dezember 8 für Maria Saal in Brünn). Bei der Vera Ikon ist der bisher einzige Fall in der Werkstatt der Avignoner Bischofsammelindulgenzen belegt, dass ein Sujet zeitlich von einem anderen abgelöst wird. Das wird im Wesentlichen darin begründet sein, dass fortan Deckfarben zur Kolorierung eingesetzt werden.
Gelegentlich ist eine Zwischenform von Vera Ikon und Christusbüste, meist in der n-Initiale, bei den Urkunden zu finden, die ein anderes Sujet im Binnenfeld der Initiale präsentieren (vgl. ikonographische Diversifizierung). Auch beim Rahmentyp findet sich eine – freilich von der ikonischen Starre des Drei-Zipfel-Typs gelöst – Brustbilder Christi, dort flankiert von Peter und Paul und damit auf andere römische Pilgerzeichen rekurrierend. Auch im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts erinnern sich Empfänger noch dieses Sujets; 1350 Mai 28 für die Stephanikirche in Helmstedt und 1360 für Immeldorf hat man als Ausführung beim Empfänger für die Dekoration des Binnenfeldes der U-Initiale wieder auf die Vera Ikon zurückgegriffen.
Gabriele Bartz
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