Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Nr. 145, S. 476
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Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Nr. 145, S. 476





Aus dem Umstände, daß nach dem Tagebuch« bei Cyvrian S. 260. die von Heilsbronn, Kempten, Winsheim und Weissenburg zwar anfänglich des Willens waren, sich neben Nürnberg und Reutlingen zu unterschreiben, hernach aber sich bedachten, noch etliche Tage zu beruhen und zu verziehen, fol gert nun ferner Gemeiner, „ daß viele der protestantischen Stände aus Scheu vor dem hochgefürchteten Kaiser der namentlichen Unter, schrift überhoben zu bleiben gewünscht haben mochten. Um dieser Unterschrift auszuweichen und nichts desto weniger dem Willen des Kaisers zu genügen, der die Gesinnung eines jeglichen Standes kew nen lernen wollte, vielleicht auch mit der Zwinglischen Partei, die man noch immer zu gewinnen suchte, nicht ganz abzubrechen, oder um des verehrten Luther's, als Vorgehers und Gründers der Religionspartei, schickliche Erwähnung machen zu können, scheint Melanchthon auf das Auskunftsmittel gefallen zu seyn, den vom Kaiser verlangten Aufsatz über die Opinion und Meinung der Pro, testanten in Glaubenssachen in der Form zu übergeben, wie derselbe den bischöflich Regensb. Gesandten zugestellt ist, ohne Namens» Unterschrift, jedoch mit namentlicher Anführung der Stände und Gottesgelehrten, die das Jahr zuvor dem Gespräche zu Marburg beigewohnt und daselbst mehrere Glaubensartikel um terzeichnet hatten."
Dagegen ist nun aber zu bemerken, daß es doch sehr zweifel haft ist, ob gerade aus Scheu vor dem Kaiser die genannten vier Städte mit der Unterschrift zögerten; sie würden ja in dem Falle sich noch viel weniger hinterdrein unterschrieben haben, da sie doch sahen, welche traurige und unerwartete Wendung alle Hoffnungen auf den Kaiser unmittelbar nach der Uebergabe der Confesso nahmen. Noch mehr aber als das steht dem das freudige Drängen der andern
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«vangel. Stände und Städte zur Unterschreibuug der Confessio ent- gegen/ die ja, wie wir sahen, weiter nichts zu bemerken hatten, als daß sie nicht in des einzigen Churfürsten Namen, sondern in aller verwandten Fürsten und Städte Namen gestellt werden müsse. Auf feinen Fall also konnte Gemeiner gerade daraus seine sonderbare Vermuthung herleiten. Um aber zu zeigen, daß diese Vermuthuug keineswegs aus der Luft gegriffen scy, stützt sich Gemeiner zuerst auf eben diese sonderbare Eigentyümllchkeit,der Regcnsburger Handschrift, welche Handschrift nach seiner Behauptung „von einem entscheidender« kritischen Ansehe« ist, als alle übrigen in den Archi ven protestantischer Fürsten". Als Grund dieser noch auffallender« Behauptung wird in einer Anmerkung angeführt, „daß alle diese Archivalabschriftcn für bloße Pnvatabschriften zu halten seyn, weil die Fürsten die Partei selbst bildeten, weil die in de» Abschriften vor« kommenden Varianten klar zu Tage legen, daß sie nicht nach einem Prototyp oder erstem Entwurf gemacht oder dictirt worden sind, und «eil selbst Melanchthon bei seiner erste» Ausgabe keine Urschrift bei der Hand gehabt hat." Aber wer sieht nicht, daß mit allen die« fen Gründe» nichts gesagt ist? Den» daß die Protestant. Fürftcu selbst Partei in dieser Sache waren, kann an und für sich un möglich ein Grund seyn, den Abschriften ihres eigenen Bekenntnis ses auch nur den mindesten Eintrag zu thun, und sie mögen als Privatabschriften oder als öffentliche Abschriften betrachtet werden, so kann man ja eben so auch die Regensburger Abschrift ans« hcn. Auf die Varianten derselben durfte sich Gemeiner noch vie> weniger berufe«, denn woraus will er dann die vielen Variante der Regens durger Handschrift selbst herleiten? Un^ daß M e, lan cht hon bei seiner Ausgabe der Confessio das Original nicht hatte, geHort gar nicht hierher; bei der mindesten Ächtung auf den Text der Regensburger Handschrift wird Jedermann uns zuge ben, daß sie Melanchthon noch viel weniger als irgend eine an dere als ein «empl«!- bc>n,e Nclüi hatte bezeichnen fonnen. Als zwei ten Stützpunkt seiner Vermuthung führt Gemeiner eine Neuße- rung Cammermeister's in seinem Leben Melanchthon's an, daß Melanchthon gewünscht habe, die Confqsio möge nicht im Namen der Fürsten, fondern im Namen oer Theologen ausge geben werden. Aber das in der Regensbrrger Handschrift be findliche Verzeichnis enthält ja auch die Namm der Fürsten, da war also doch auf Melanchthon's Wunsch «eine Rücksicht genom men! — Dennoch schließt Gemeiner aus diesen Umständen auf die Wahrheit seiner Vermuthung und läß: nun die protestantischen Stände mit dem in solche Form gebrachte« Aufsatz schon geraume
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Zeit in Bereitschaft seyn, als die Stände in der Versammlung am 22. Iun sich über den Gang »nd über die Ordnung der bevorstehenden Reichstag»-Verhandlungen vereinigten und ihren Beschluß dem Kau ser durch einen Ausschuß vortragen ließen, welcher die kaiserliche Ent- schließung zurückbrachte, daß der Kaiser am nächsten Freitage die Opinion und Meinung der Protestant. Fürsten schriftlich empfangen wolle. „Die Bestimmtheit der Worte," fahrt Gemeiner fort, „mit welcher der Erzkanzlcr den evangel.-luther. Standen diese kaiserliche Willensmeinug eröffnet hatte, ließ sie vorhersehen, daß die Opinion eines jeglichen zum wenigsten die Unterschrift eines jeden erwartet würde (st. erwarten lassen würde) und daß ihre Ab, ficht nicht erreicht und ihre getroffene Einleitung vereitelt werden würde."
Auch hier befindet sich Gemeiner in einem Irrthume. Der Hergang der Sache war dieser. Nachdem der Kaiser den Reichstag mit der Proposition am 20. Iun feierlich eröffnet hatte, berathschlag« ten die Fürsten und Stande am 22. Iun über die bei den Reichs tags-Verhandlungen zu befolgende Ordnung und kamen dahin über« ein, daß die Sache des Glaubens zuerst und zwar vom Freitag den 24. Iun ab vorgenommen werden solle. Die protestantischen Stande waren jedoch der Meinung, daß dem kaiscrl. Ausschreiben nach auch die Stände des Gegenthcils einVekenntniß ihres Glaubens dem Kai, fer am genannten Tage übergeben würden und hatten sich in dieser Hoffnung mit den andern Ständen zu jenem Beschlüsse vereinigt. Pun aber traten die Stande des Gegentheils mit der unerwarteten Erklärung hervor/ daß es ihrer Seits gar keines Glaubens - Bekennt nisses bedürfe, da sie'ja nicht wie die protestantischen Fürsten und ihre Anhänger >on der allgemeinen Lehre der römischen Kirche abge wichen wären, und als der Kurfürst von Brandenburg den Beschluß der Reichsstände dem Kaiser im Namen des Ausschusses vortrug, sagte er auch nur, daß die Protestant. Stände bereit seycn, ihm am nächsten Freitag ih> Bekenntnis! zu überreichen. Die protestantischen Stände schwiegen, weil sie immer noch gewiß waren, der Kaiser werde, damit man seinem Ausschreiben nachgehe, auch den Stän den des andern Thiils ihr Bekenntniß abfordern. Aber sie sahen sich getäuscht ') und ,er Kaiser verlangte nur das ihrige. Daß aber
-) Der Canzler Brück sagt in Bezug auf diese Täuschung (in m. Archive S. SN.): „Dieweil dann die fünf Churfurst vnnd surften, wie angezaigt, also verknüpft sein worden." »c.
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die Bestimmtheit der Worte in der kaiserl. Erklärung wenigstens die Unterschrift eines Jeden bc dem Bekenntnisse erwarten ließ, konnte Gemeiner wohl nur sazen, um seinen Conjecturcn dadurch mehr Gewicht zu geben; er wußte wohl recht gut, daß die Unter schriften an und für sich bei eincr solchen feierlichen Erklärung nicht fehlen konnten, wenn sie nur irzeud einen öffentlichen Glauben ha ben sollte, und auf jeden Fall vußten das die evangel. Fürsten we nigstens eben so gut, so daß es, um sie zur Unterschrift zu vermö gen, durchaus keiner besondern und bestimmten kaiserlichen Erkla^ rung bedurfte. Es verstand sich das von selbst.
Gemeiner giebt ferner ucl auf den Umstand, daß die evan gelischen Fürsten nachträglich sich nit der Kürze der Zeit entschuldig ten , in der es unmöglich wäre, mit dem Aufsätze fertig zu werden, und bemerkt, d»ß diese Entschuldiging vieles Aussehen machte. Von einem solchen Aufsehen findet sich »ber nirgends in den Quellen eine Spur; Gemeiner hatte nicht «»beachtet lassen sollen, daß die Pro testant. Fürsten mr um einen eiir-igen Tag Aufschub baten. Wer wird darin etwas Besonderes finden? Aber Gemeiner fand diese Bitte gerade in den Umstände begründet, „daß sich die evangel.- luther. Fürsten und Städte qenöthigt gesehen haben, eine dem Kaiser mißfällige Form, in nelcher die längst in Bereitschaft gehaltenen Aufsätze von ihnen übergeben «erden wollten (sollten), abzuändern und neue Abschriften davon mach,,, zu lassen." — Vernehmen wir dagegen den Bericht eines Nugenzcugm, d«s Cancers Brück, des wür digen Mannes, welcher gerade bei >er Ueberga'»e des Bekenntnisses eine der wichtigsten Personen war, ?o berichtet er uns davon leine Sylbe. Welchen Grund hätte er aber'vohl gehabt, >os z„ verschwei gen? Er sagt in seiner Geschichte desH„gs b. Reichet^» ^» .... Archive S. 50,) ganz einfach: „Dieweil^an sich aber besorgt, Man mochte dermassen nit tonnen fertig vnd^eselvigen (Artikel des Glau bens) rain vnd «<! mun<lum geschriebenwerden, da« man sy, nach dem der etwas vil, auf den freitag vergeben vnd furtragen tont, Ist bedacht — zubitten, das die vvergedung vmb einen tag mochte erlcngt werden.«
Auf dieselbe Stelle bezieht sich Gemeiler in der Anmerl. zu S. 19. Wie konnte es ihm aber aich nur einen Augen blick dunkel bleiben, von «elcher Verknüpfung Brück hier spreche? Seinem Interesse gemäß wüte Gemeiner hier nichts als eine Andeutung des taiserl Dringens auf die na mentliche Unterschrift finden! —
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„ Weil nun" schließt ferner G: meiner S. 16.,. die Protestant. Stände der namentl. Unterschrift «cht enthoben zu werden überzeugt waren, so verfaßte oder berichtigte Melanthon noch am 22. Iun. eiligst die Vorrede und machte von dem in Bereitschaft gehabten nun mehr mit der Vorrede versehenen lat, Aufsatze eine vorläufige con- fidentielle Mittheilug an eiren angesehenen Freund am kaiscr- lichen Hof" :c.
Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg (1530), ed. Förstemann, 1833 (Google data) 145, in: Monasterium.net, URL <https://www.monasterium.net/mom/ReichstagAugsburg/c33f0cd0-d472-4b95-9044-1c6e47865be8/charter>, accessed 2025-04-20+02:00
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