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Charter: Chartularium Sangallense 04 (1266-1299) 1272 VI 10
Signature: 1272 VI 10
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10. Juni 1272 - 1. Okt. 1273
Abt Ulrich von St. Gallen gibt der Stadt St. Gallen eine Handfeste über ihr altes Recht.
Source Regest: 
Chartularium Sangallense IV, Nr. 1920*, S. 106.
 



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    In dem nam(in) des vatirs vndea) des sunis vnde des heiligin geistis. So grvoez ich Volrich von den gnaden gottis irwelt zi abbte zi sante Gallin1 alle gilovbigin livte vnde wunsh in heilis von ewon vnde zi ewon. Swaz nivzir dinge || an disim vuruarndim zite gishiht, daz div mit dem selbin zite iht mugin viruarn, so pfligt man siv an schrift vnde vndir ersamir gezivge hugide nam(in) ze sezzinne. Dannan von so kvndin wir allen den, die in Cristis || nam(in) gilovbig sint ald iemer werdint, si sin nv geborn aide si suln noch geborn werdin, die disin brief iemer gisehint aide dir von iht horint sagin, daz wir durch die bette vnde die liebi aller der stat zi sante Gallin mit dem || willin vnsirs capitils vnde mit dem rate der tivrston vnsirs gotshusis dienstmanne daz alte reht der selbin stat widir gimachit hein vnde ir dise hantvesti dar vbir gigebin han widir den hantvestinon, die ir zi einer allichir brunst virbrunnin warin, da ez von altir an gischribin waz vnde die ir von vnsirm gidigine vnde von keisirn vnde kvnigin gigebin vnde giuestint warin. Daz selbe reht daz ist alsus gishaffin, daz alliz daz gvot, daz inrunt den vier crivcin2 vnde von der obenendi der berge bi dir stat dis inhelde zi tale lit, swelher hande livte daz nv habe ald iemer rehte vnde rediliche giwinne, alde von swem man ez heige aide reht vnde rediliche giwinne, dc daz in dem selbin rehte stande alse Costinzer3 eigin an erbinne, an virkovfinne, an virsezzinne, ane das, dc ienz eigin vnde dis lehin ist4, vnde ane daz, obe ein kovf hie sol gishehin, dc der virkovfinde vf sol gebin in dis lehinherrin hant, swer der ist, vnde sol ez der kovfinde dannan enpfahin vnde dim herrin ein vierteil lantwinis5 sol gebin. Hat abir ir einer aide si beide dez herrin hulde niht vnde wil er da von inen rehtis lihins vnde inphahins virzihin, so sol man im aide sinem ehaldigim ammanne den win biettin vnde sol der kovf zi rehte irgangin sin, wan swenne der kovfinde darnach iemer daz mag biredin mit zwein sinen husgnozzin, so sol im enz an sinem rehte enhein schade sin. Vmbe dis erbin ist ez alsus geshaffin, swer dissis gvotis iht hat, ez si man aide wib, stirbit der ane kint, den sol sin nahister vatermag erbin, ez si wib alde man. Vindit aber man der enheinin, so sol ez mvoter halb das nehiste tvn. Wil ovch ieman diz gvotis iht virsezzin in phandis wis, der sol dar gan vnde sol mit dir hant drane grifin vnde sol ez in phandis wis in ienz giwalt, der ez virphendin wil, gebin vnde sol dar zvo in heinin herrin nvt ansehin. Inhein man alde wib, der dissis gvotis hat, der sol niene drumbe zi rehte stan wan vf der pfallinze zi sante Gallin vnde eht vor dim abte vnde sol ez ovch niene mit virliesin noch giwinnen wan mit dem rehte vnde mit der vrteilde, da mit ovch Costinzer ir eigin bihabint vnde virlierint. Wirt ovch et me dan ein vrteilde vber daz selbe gvot gisprochin vnde bilibint die hie vngisaminot, also dc der strit hie niht mag gisheidin werdin, so sol manz darvmbe niene ziehin, wan sol eht die, di vrteildeb) gisprochin hant, zi Costinzeren sendin6, ir reht drvmbe da zirvarne, vnde swaz die wider sagint, dar nach sol ez der abt endilichin rihtin. Wir virgehin ovch an disem selbin brieue, dc wir von deheinim menschin, der nit semper ist noch burger reht hat, mit swelm andirm rehte er vnser gotshus anhort vnde der doch zi sante Gallin sezhaft ist vnde den burgern wachen hilfit vnde dem riche stivre gebin, deheine ansprache an in alder an sine erbin svlin habin weder an ligindim gvote in den vier ervein vnde obenendi der berge, alse dir sne shlifit, noch an deheinim sinim vardim gvote, swa er ez habe, ane das allein, dc er sin tivrste lebindis gvot ze valle7 gebin sol, vnde obe er dez nit hat, ist er ein hagistolz, dc er denne gebe zi valle, alse er an dim svnnintage zi chilchin gat8. Vmbe diser selbin livte erbin ist ez alsus geshafin, dc kint vnde wib erbint, obe si div hant, obe si der inwedirs hant, so erbint si ir nehistin vatermage, ez si wib alde man, vindit aber man der enheinin, so sol ez mvoter halb das nehiste tvon. Ist aber, dc si diser erbin allir enheinin hant, so sol daz gotshusc) alliz ir gvot in sine gewalt ziehin vnde bihaltin iar vnde tak vnde sol antwurtin in der selbvn frist allen den, die von rehtim erbe deheine ansprache daran hant. Wir viriehin ovch an disem brieue, swer ein semper man ist alde burger reht hat, dc den nieman ierrin sol, er mvge mit sinen kindin komin ze closter alde ze der e, swar er wil. Wir viriehin des ovch, dc die burger von sante Gallin weder vns noch nieman deheinir stivre shuldik sint wan vierzik phunde Pfenninge sante Galler mvnze, die si dem riche allir ierliche ze vogtstivre gebin sunt, vnde dc ez si schirmin sol vnde bileitin alse ander sine stette9. Wir irkennin ovch an disem brieue vnde gelobin hie zigegin mit gvoten trivwin mit vnsers capitils gvnst, dc weder wir noch dehein vnser nachkome noch niemand) an vnserre stat den zol zi sante Gallin nemin sol, wan der selbe zol vor langen ziten abe gekofit wart von einim burger, der hiez herre Rvopreht von Irah10, vmbe vierhundirt pfunde vnde vmbe svmiliche berge bi sante Lienhartte11, vnde dar vbir brieue vnde insigil des abbitis, der do waz, vnde dez capitils wurdint gigebin, vnde die selbin brieue abt Cvonrat12 nemin hiez in dem martirbilde ob der tovf bvttinne in dem munster einin zimberman, der hiez Brivnink, der ovch sit blint wart13, vnde dc der selbe zol von den ziten, do er abe gikoofit wart, vnz an abbit Cvonrattin von Bvssinank nie genomin wart, alse vor vns vnde vor vnsirs gotshusis dienstmannin mit lebinden gezivgin biredit wart14. Vnde zi einer ganzer vnde ewiger staetie) allir der dinge, der wir an disim brieue viriehin habin, so geloben wir mit gvoten trivwin, dc wir werbinde sigin mit flizze, dc disv hantuesti bistetit vnde bisigilt werde von dem riche, swenne daz kvmit15. Vndef) uiriehin ouch, dc man inheinen burger von sancte Gallin heftin noch phendin sol an libe noch an gvote weder vur abbit noch vur vogit, er sies danne selbe givlte alde bvrge16.
    Source Fulltext: Chartularium Sangallense IV, Nr. 1920*, S. 106-108.
    Editions
    • MVG 1 (1862), S. 144. - UB St. Gallen III, 1000. - Corpus altdt. Or.urk. 1,173.

    Comment

    Entwurf?$$Nach Schrift und Sprache zeitgenössisch, aber unbeglaubigt. Invokation, Ausstellerformel und Arenga lassen auf (eine) lateinische Vorlage(n) schliessen. Der Text bricht vor der Siegelankündigung ab. Es folgt in anderer, kaum viel jüngerer Schrift der Schlusssatz. Die Stadt St. Gallen versuchte zweifellos ihre Stellungnahme in der zwiespältigen Abtwahl des Jahres 1272 zugunsten Ulrichs von Güttingen für Konzessionen des Abts auszunützen (vgl. über den Streit MVG 18 [1881], Kuchimeister, c. 34, S. 115). Auf der Seite Ulrichs standen vor allem die bedeutenderen Dienstmannen, die Bürger, die Bergleute (Appenzeller) und die von Wil, auf der Seite Heinrichs v. Wartenberg fast alle Konventualen.
    Die Urkunde ist nie rechtskräftig geworden, sie muss trotz der schönen Schrift als Entwurf, vielleicht als Verhandlungsgrundlage mit dem Abt betrachtet werden. Ältere kaiserliche, königliche und äbtische Handfesten bestanden nie, die Erwähnung einer Feuersbrunst dient nur dem Zweck, das Fehlen vorangegangener Urkunden zu verschleiern. Ein Vergleich mit der Handfeste Abt Wilhelms von 1291 (Nr. 2279) zeigt, dass damals ein grosser Teil dieser Urkunde übernommen wurde, die Stadt aber ihren Entwurf nicht vollständig durchsetzen konnte. Dieser hätte die Hagestolze erbrechtlich besser gestellt und vom Abt auch Zugeständnisse in Fragen des Zolls und der Steuer erreicht. Der Vergleich zwischen den Dokumenten von ca. 1272 und 1291 offenbart die trotz aller Zusammenarbeit zwischen Abt und Stadt bestehenden Differenzen.
    Zum Datum: Sicher ist nur die Regierungszeit Abt Ulrichs, nach 10. Juni (Todestag des Vorgängers) 1272 bis + 14. Febr. 1277. Das Gelöbnis des Abts, die königliche Bestätigung zu erwirken (bisigilt werde von dem riche, swenne daz kvmit), darf vielleicht auf das Interregnum (beendet durch die Wahl Rudolfs v. Habsburg am 1. Okt. 1273) bezogen werden, könnte aber auch nur auf einen Besuch des Königs hinweisen. Sachlich muss man aber wohl den Entwurf in die Anfangszeit Abt Ulrichs setzen, am ehesten Sommer-Herbst 1272.


    LanguageDeutsch

    Notes
    a) Immer vn mit Kürzungsstrich (viell. in vnd aufzulösen). - b)l über der Zeile nachgetragen. - c) Erstes s über der Zeile nachgetragen. - d) Unter erstem n ein Punkt; getilgt (ieman)? - e)staeti über der Zeile nachgetragen. - f) Von hier an andere, breiter laufende, wohl etwas jüngere Schrift, sicher vor 1291. - 1 Ulrich VII. v. Güttingen, 1272-1277. - 2 Der städtische Gerichtsbezirk war durch vier Kreuze markiert; über ihren Standort vgl. E. Ziegler, Kostbarkeiten aus dem Stadtarchiv St. Gallen in Abbildungen u. Texten (1983), S. 43ff. - 3 Konstanz; diese Stelle ist in der Literatur über das mittelalterliche Konstanz und seine Rechtsgeschichte unbeachtet geblieben; sie stützt die Meinung K. Beyerles, Grundeigentumsverhältnisse u. Bürgerrecht im mittelalterl. Konstanz I (1900), S. 6f., dass in der eigentlichen bürgerlichen Niederlassung zwischen der bischöflichen Altstadt und der Fronhof-Vorstadt das freie Eigen der Altgeschlechter der Normalfall war. - 4 Die St. Galler Bürger sassen also auf Klosterlehen, die Konstanzer auf freiem Eigen. Das Verfügungsrecht sollte aber ebenso umfassend sein wie in Konstanz, d. h. für St. Gallen sollte die freie städtische Erbleihe die normale Besitzform für Bürger sein. - 5 Der Weinkauf. - 6 Konstanz sollte für St. Gallen die Funktion eines «Oberhofs» erhalten. - 7 Die Nichtbürger unterstehen dem äbtischen Fallrecht und entrichten das Besthaupt. - 8 Hagestolz, hier definiert als Nicht-Viehbesitzer. Die Beschränkung seines Falls auf das beste Kleid konnte die Stadt nicht durchsetzen, vgl. die ungünstigere Behandlung dieses Falles in der Handfeste von 1291 (Nr. 2279). - 9 Von dieser Reichssteuer und dem Schutz des Reiches ist 1291 ebenfalls keine Rede. - 10 Ira, Name des Baches u. der Vorstadt im Norden der Altstadt; unter den Zeugen in Nr. 928 v. 1170: Egelolfo de Ira et fratre suo Rovperto. Eine Zollablösung müsste also etwa am Ende des 12. Jhs. oder um die Jahrhundertwende erfolgt sein, eine Urkunde ist nicht erhalten. Auch über den Zoll schweigt die Handfeste von 1291. - 11 St. Leonhard, Kirche in St. Gallen. - 12 Konrad v. Bussnang, 1226-1239. - 13 Der Abt soll die Urkunde beseitigt haben, der Täter wäre darauf blind geworden, also Gottesurteil. - 14 Es soll also der rechtmässige Zustand (Zollablösung) vor Abt Konrad wiederhergestellt werden, wie er angeblich vor dem äbtischen Gericht durch Zeugen festgestellt wurde. - 15 Könnte auf das Interregnum hinweisen, vgl. Vorbemerkung zum Datum. - 16 Dieses Pfändungsprivileg in etwas jüngerer Schrift, aber sicher vor 1291, da der Passus in der Handfeste von 1291 enthalten und wohl im Hinblick auf die neue Handfeste hier nachgetragen worden ist.
     
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