Urkundensammlung zur Geschichte des Kantons Glarus, Nr. 201. , S. 52
201.
1437, Januar 30.
Landrecht des Grafen Heinrich von Werdenberg- Sargans mit Schwyz und Glarus.
Wir Graf Heinrich von Werdenberg, herre zuo Sangans, zuo Orttenstein 1) vnd zuo Beremburg 2) etc. Tuond kunt vnd bekennen offenlich mit disem brief für vns vnd vnser nachkomen. Ais die fürsichtigen wisen Amman rätte vnd gemein lantlütte der lendren Switz vnd Glarus vns vnd vnser erben ewenklich zuo lantlüten ge- nomen vnd empfangen hand mit disen nachgeschribnen graffschafften,
1) im Domleschg. *) Bärenburg bei Andeer.
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herschafften, vestinen, tellern,») namlich Sangans, Ortenstein, Berem- burg mit der nüw vnd alten Süns 4) vnd allen landen vnd lüten, so darin oder darzuo gehörend etc., Das wir da für vns vnd vnser erben offenlich vnd liplich zuo Got vnd an den heilgen, vnd die vnsern, die denn in den obgeschribnen herschafften sitzen, mit vns gesworn haben, sölich lantrecht mit vns getrülich zuo halten vnd beder vorgeschribnen lendren Switz vnd Glarus nutz vnd frumen zu fürdren vnd jr schaden zuo warnen vnd zuo wenden, och dise nach- geschribnen stukk, geding vnd artikel, so denne in disem lantrecht beredt, bedingt vnd begriffen worden sind, getrülich vnd vnuer- brochenlich zuo halten, än alle böss list vnd geuerd etc. (1) Des ersten sond wir vnd vnser erben der obgenanten von Switz vnd Glarus beden lendren gemein oder jetwedrem lande besunder zuo . allen iren nöten, kriegen vnd sachen warten und hilflich sin mit den vor geschribnen herschafften, schlossern, tellern, landen vnd lüten, mit lib vnd guot, wie inen das notdurfftig oder füglichen ist, in aller wis vnd masse, als ob ein jeglich sache vnser selbs war vnd vns selber angienge, getrülich än alle böss geuärde etc. Dartzuo wäre das vns vnd vnsren erben jcht5) fürer hinfür zuo viele in disen kreisen in Kurwalchen obernthalb der steig 6) von erbe oder sust, es sye lehen, eigen, schlösser, vestyn, lüt oder land, wie das genant war, söliches sol ouch in disem lantrecht begriffen sin vnd den vor genanten von Switz vnd Glarus gemein oder jnsunder jeklichem lande ouch darmit zuo allen iren sachen, kriegen vnd nöten warten in der masse, als das vor ist bescheiden. Wäre ouch, das die ob genanten von Switz vnd von Glarus deheinest mit irem volk ald mit iren helffren zuo vns setzen ald zuo vns ziechen wölten in iren sachen, das sollend sy in jrem costen tuon, vnd süllend wir vnd die vnsren jnen kouff vmb iren pfennig geben, doch das si vnser vnd der vnsren darin schonen vnd enkein vngewonlich wuostung noch schaden darin tuon süllend vngeuarlich. (2) Wäre ouch das vns, vnser erben, die von Switz vnd Glarus an dewedrem teile von jemant sölich sachen angiengen, darvon krieg ufferstuond, was denn stetten, schlosser, vestinen, land oder lüten in sölichen kriegen ge- wunnen, erobret oder behept') werden, da der obgenanten von
3) Thälern. *) bei Paspels im Domleschg. nach Henne in den schweiz. Ritterburgen II. 377. 5) etwas. 6) Luziensteig. ') behauptet.
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Switz oder von Glarus paner by wäre, das selb alles, so also ge- wunnen wurde, sol den von Switz vnd Glarus gentzlich volgen vnd beliben. Wäre aber, das wir oder die vnsren in den selben kriegen jemat viengen, die selben geuangen sollend vns volgen vnd beliben, von den von Switz vnd Glarus vnbekümbret, doch also das wir vnd vnser erben vnd die vnsren sölich gouangen mit vrfecht») mit der von Switz vnd Glarus rat von vns söllent lassen vnd nicht anders. Erobroten oder gewunnen aber wir obgenanter graf Heinrich oder vnser erben ald die vnsren in sölichen kriegen dehein stat, schloss, vesty, lüt oder land in den obgeschribnen kreissen begriffen, da der vorgenanten von Switz vnd Glarus paner nicht by wäre, das selb alles sol vns ouch volgen vnd beliben, aber also das wir dero von Switz vnd Glarus darmit warten vnd beholfen sin als mit andren vnsren vestinen, schlossen, landen vnd lüten, so vorgeschriben stand. (3) Es ist ouch in disem lantrecht vnd in diser sach eigenlich beredt, das von dewederm teile nieman den andren verhefften noch ver bieten sol wan 9) den rechten schuldner, mitgülten 10) oder bürgen, der im darumb gelopt oder verheissen hat an geuärd. (4) Es sol ouch an dewederm teil dehein leyg den andren vmb dehein sach vff dehein frömd gericht, gaistliches noch weltliches, nit fürnemen, laden noch triben, besunder sol jederman von dem andern ein recht suochen vnd nemen an den enden vnd stetten vnd in den gerichten, da denne der ansprechig gesessen ist vnd dahin er gehört, vnd sol man ouch da dem kleger vnuerzogenlich vnd bescheidenlich richten. Beschäch aber das nicht, vnd das das kuntlich wurde, so mag denne der kleger sin recht wol fürbasser suochen als jm füglichen ist. (S) Wir vorgeschribner Graf Heinrich vnd vnser erben mugent ouch hin- nathin vnsren herren, ") vnser fründeu vnd gesellen wol dienen vnd behulfen sin, doch also das wir vnd die vnsren mit deheinen sachen wider die vorgenanten von Switz vnd Glarus noch wider jro eid- gnossen nicht sin noch tuon süllend an geuärd. Wäre aber, das die jetzgenanten von Switz vnd Glarus vnser zuo iren eren, nutz vnd notdurft bedörften vnd sy vns darumb manten mit briefen, durch botten oder von mund in disen ziten, so wir herren, fründen oder gesellen dienten, denne so süllend wir an fürzug zuo jnen komeh
») Urfehde. ") als. 10) Mitschuldner. ") Lehensherrn.
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vnd jnen an jren sachen helfen vnd raten jn der mässe als vor ist bescheiden, an alle widerred. Vnd vmb was sachen wir oder vnser erben ouch deheinest herren, fründen oder gesellen dienten oder be- holffen wären, stuonde vns, vnsren erben oder den vnsren dehein schad oder gebrest12) darvon vf, das sol die von Switz vnd Glarus nicht angän, süllend ouch darvon dehein schaden noch gebresten haben, sy tügen es denne gern. (6) Des selben gelich 13) süllend vns vnd vnser erben ouch dero von Switz, vnd Glarus stüren vnd brüch nicht angän vnd darmit nicht zuo schaffen haben an geüard. (7) Wäre ouch das wir vorgenanter Graf Heinrich oder vnser erben von vnser selbs wegen dehein stöss, zweyung oder zuospruch mit jeman hetten oder jemant zuo oder mit vns, vnd denne der oder die selben vns recht erbutten vff die vorgenanten Amman vnd räte der lendern Switz vnd Glarus, des selben rechten sond vnd wellend wir vns vor jnen oder vor denen, so denne beide lender darzuo schiben, ") geben oder fügen wurden, benügen lassen an widerrede. (8) Sunderlich vnd eigenlich ist ouch in disem lantrecht beredt worden, wenn wir vorgeschribner Graf Heinrich von Werdenberg oder welher denn je herre der obgeschribnen graffschaften, herschaften, schlössren, lüten oder landen, gemein oder jnsunder gewesen ist, von todes wegen abgangen vnd nicht mer in libe sind, das denne der oder die, so denn an sölichen graffschaften, herschaften, schlossern, lüten oder landen erben sind oder erben werdent, vnd ander vorbegriffen lüt vnd land sich sölicher lantrechten in beiden lendern Switz vnd Glarus verfachen,15) sölich lantrecht schweren vnd brief vnd jnsigel geben sond, das si disen brief vnd sölich lantrecht in der mäss, als diser brief wist vnd sait, getrülich haltind vnd sölichem nachgangen, wenn das an si durch die vorgenanten lender oder jr botten erfordret wirdet, an widerred. Wäre denn aber, das dehein erb oder erben in sölichen zitten nicht zuo jren tagen komen 16).wären, so söllend ir vögt, amptlüt, pfleger, räte oder an wem das denne je gelegen, wer sich an der selben erben stat jn vorgeschribner wise soliches lantrechtz verfachen, sölich lantrecht swerren vnd das versorgen mit jngesiglen vnd briefen, alle vor vnd nachgeschribne stukk vnd ar- tikel zuo halten in der mass, als diser brief wist vnd seit, vntz das
") Nachtheil. ") dessgleichen. ") abordnen. 15) in die Landrechte ein treten. ") noch nicht volljährig.
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sölich erben zuo iren tagen komend. Vnd wenn denne die selben erben also zuo iren tagen komen sind, so süllend si vnd ir vorge- schriben lüt vnd lande sich denne aber fürer sölicher landrechten verbinden, schwerren vnd darumb jr brief vnd jnsigel geben in vor- geschribner wise, wenn das an si erfordret wirdet, als vorstat vnd als dik das ze schulden kumpt. 17) Vnd wenne ouch sölich lant- recht also ernüwert wurde, so süllend denn aber all vorgeschriben lantschafften vnd lüte ir lantrecht och ernüwern vnd schwerren, als sy das ietz och hand getan vnd geschworen vnd in der masse, als dieser brief wist vnd seit. (9) Item wir haben denne aber fürer vns vnd vnsern erben in disem lantrecht vorbehept, 1») das wir vns hin für gen herren, stetten, lendern oder gegen wem wir wellen, wol verbinden mügen als vns denn füglich ist, doch disem lantrecht zuo Switz vnd Glarus gentzlich vnd gar vnschedlich, denn dise lant recht vor allen andren sölichen burgrechten, lantrechten vnd punt- nussen 19) vorgän vnd stät beliben sond an geuärd. (10) Vnd von sundern gnaden haben wir der selb Graf Heinrich von Werdenberg etc. für vns, vnser erben vnd nachkomen den vorgeschribnen von Switz vnd Glarus vnd ir nachkomen die genad getan, das man si vnd alle ir lantlüte durch vnser vorgeschriben graffschaften, her schaften, stetten vnd lender mit jr lib vnd mit jrem guot, welherlay das ist, nütz vsgenommen, varen, des nicht vor sin, zollfrye lassen vnd hinfür niemermer ewenklich dehein zoll noch sölich schatzung geben sond vngeuarlich. (11) Fürer so ist denn ouch beredt vnd hand wir vorgeschribner Graf Heinrich vns vnd vnsern erben vorbe hept, wäre das deheinost die herschafft von Oesterrich mit den von Switz, Glarus oder mit dewederem lande besunder über kurtz oder lang krieg hetten oder gewunnen, so süllen vnd mügen wir jn sö lichen kriegen mit den vorgeschribnen graffschafften, herschafften, vestinen, landen vnd lüten vnd mit dem, so wir lantman zuo Switz vnd Glarus worden sind, wir habind das jetz oder valle vns noch zuo, stille sitzen 2j) vnd vns damit deweders teils annemen, an geuärd. Des selben gelich vnd in sölicher wis vnd masse haben wir ouch vorbehept die edlen wolgebornen fro Eisbethen von Toggenburg ge- born von Mätsch, vnser lieben muomen, jr lebtag vnd nicht füro.
") sich ereignet. ") vorbehalten. ") Bündnissen. 2°) neutral bleiben.
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Vnd in allen vorgeschritten sachen vnd stukhen haben wir vorge- schribner Graf Heinrich vns vnd vnsern erben mit userscheidnen 21) worten vorusbehept den allerdurchlüchtigesten fürsten vnd herren. vnd Romschen keiser, vnsern allergenedigosten herren, vnd das heilig Römsch rich vnd vnsrem genadigen herren dem Bischoff von Cbur sine lehenrechtung vnd sölichs, so wir oder vnser erben jm denne von lehenrechtz wegen schuldig vnd pflichtig sind, vnd nicht füro, än geuärd. Des alles zuo einem warem, offem vnd vestem vrkund hand wir vorgeschribner Graf Heinrich von Werdenberg, herre zuo Sangans etc. vnser eigen jnsigel für vns vnd vnser erben offenlich lassen henken an disen brief, der geben ist an der nächsten mitt- wochen vor vnser lieben frouwen tag zuo liechtmisse vff vnser vesty Sangans, do man zalt nach der geburt Christi tusent vierhundert, darnach im drissigsten vnd sibenden jar.
Nach einer beglaubigten Abschrift auf Pergament, welche der öffentliche Notar Eberhard Wüst in Rapperschwyl (clericus Constantiensis dyocesis) be reits am 7. Februar 1437 von dem in Schwyz liegenden Original genommen hat, in unserm Landesarchive. Gedruckt bei Tschudi II. 228.
Anmerkung.
Wir haben oben gesehen, wie Herzog Friedrich von Oesterreich dem Grafen Heinrich von Werdenberg gestattete, die verpfändete Grafschaft Sargans zurückzulösen und wie alsdann die Unterthanen, welche diesem neuen Herrn ebensowenig wie dem Herzoge huldigen wollten, in das von Zürich seit langem nach ihnen ausgeworfene Netz eingingen. Seit dem Burgrechte mit Zürich be fanden sich die Sarganserländer in voller Empörung wider den Grafen und es war zwischen den beiden Theilen ein Anstandsfrieden vermittelt worden (Klin- genberger Chronik S. 234, 235). Es war nun ganz natürlich, dass, gleichwie die Unterthanen bei den Zürchern Schutz gesucht hatten, so umgekehrt der Graf durch eine Verbindung mit ihren Gegnern, den Ländern Schwyz und Glarus sich zu stärken suchte. Das Verhängniss brachte es mit sich, dass in allen den benachbarten Herrschaften, welche im wei.ern Sinne zum toggen- burgischen Erbe gerechnet werden konnten, die feindlichen Brüder auf ein ander stiessen.
Dass die sog. Burg- und Landrechte, welche die eidgenössischen Orte im I5. Jahrhundert mit Herren, Städten und Läudern abschlossen, nichts anders waren als eine besondere Form von Bündnissverträgen, ersehen wir am besten aus der vorstehenden Urkunde.. Es ist dieses Landrecht eine ziemlich getreue
") ausdrücklichen.
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Nachbildung desjenigen, welches Schwyz im Jahr 1417 mit dem Grafen Fried rich von Toggenburg abgeschlossen hatte. Auch die uns überlieferten Bestim mungen des mündlich abgeschlossenen Landrechtes mit den Landleuten der Graf schaft Toggenburg (Nr. 1»» B) stimmen grösstenteils mit unserer Urkunde über ein. Was die Landrechte hauptsächlich von andern Bündnissformen unterschied, das waren namentlich folgende zwei Bestimmungen: 1) dass der Verbündete gleich jedem andern Landmann schwören musste, »des Landes Nutzen und From men zu fördern, seinen Schaden zu warnen und zu wenden«; 2) dass alle Erobe rungen in gemeinschaftlichen Feldzügen, sofern nur des Landes Panner dabei ent faltet wurde, dem Lande zugehörten. Aus dem Land rechte hätte auch gefolgert werden können, dass der Verbündete die Steuern und Abgaben des Landes mitzutragen habe; allein diese Folgerung wurde in der Regel ausdrücklich wegbedungen. Als eine »besondere Gnade« wird es in unsrer Urkunde be zeichnet, dass Graf Heinrich den Schwyzern und Glarnern vollständige Zoll freiheit in allen seinen Gebieten gewährte; es war diese Vergünstigung von besonderem Werthe für Glarus, dessen bedeutender Verkehr mit Graubünden, Vorarlberg und Rheinthal meistentheils durch das Sarganserland geht, und sie bestand fort bis auf unsere Zeiten, wo sie vom Kanton St. Gallen losgekauft wurde. Bemerkenswerth ist ferner, dass Graf Heinrich sich vorbehielt, in Kriegen, welche Schwyz und Glarus mit der Herrschaft Oesterreich oder mit der Gräfin-Wittwe von Toggenburg haben könnten, neutral zu bleiben; es war wohl in beiden Beziehungen eher ein Pietäts- als ein Lehensverhältniss, welches diesen Vorbehalt veranlasste. Einen allgemeinen Vorbehalt gegenüber den Bestimmungen des Landrechtes, wie es bei Bündnissen Sitte war, machte der Graf nur für Kaiser und Reich und für den Bischof von Chur insoweit als er mit Lehenspflicht ihm verbunden war. Für die beiden Länder einen Vorbehalt zu machen, mag man für überflüssig gehalten haben, weil Graf Heinrich, indem er in das Landrecht eintrat, dadurch von selbst Antheil ge wann an der ganzen rechtlichen Stellung, in welcher sich Schwyz und Glarus, namentlich im Verhältnisse zu ihren Eidgenossen befanden.
Noch, ist zu bemerken, dass, wenn es in Ziff. 8 heisst, die »Landschaften und Leute« des Grafen hätten das Landrecht mitbeschworen, man dabei natür lich nicht an diejenigen Gemeinden des Sarganserlandes denken darf, welche das Burgrecht mit Zürich angenommen hatten. Es heisst daher in der folgenden Nr. *O4, A geradezu, Graf Heinrich sei bloss mit der Feste und dem Städtchen Sargans Landmann zu Schwyz und Glarus geworden.
Blumer, Johann Jakob: Urkundensammlung des Kantons Glarus, 1865 (Google data) 201. , in: Monasterium.net, URL </mom/KantonGlarus/4f7a20bb-45b8-4658-bcb6-b41858829f6e/charter>, accessed at 2024-11-21+01:00
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