Digitalisierte Edition des ältesten Appenzeller Landbuchs (SSRQ AR/AI 1, Nr. 1)
Quellenbeschrieb
Datierung
Das früheste Landbuch des Landes Appenzell wird seit seiner Entdeckung durch Johann Baptist Rusch im Jahre 1867 gemeinhin als «Landbuch von 1409» bezeichnet. Die Bezeichnung verschleiert jedoch, dass es sich dabei um ein wohl im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts geschaffenes Buch handelt mit Satzungen, die vielleicht teilweise auf einen um 1409 entstandenen Vorläufertext zurückgehen. Nathalie Büsser nennt in der gedruckten Edition, die von der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins in der Sammlung Schweiizerischer Rechtsquellen (SSRQ) herausgegeben wurde, das Landbuch «Älteres Landbuch».
Beschreibung der Handschrift
124 Seiten, zum Teil unbeschrieben; Buchblock: 31 × 20 cm; Holzdeckel (33 × 22 cm), überzogen mit gepresstem Leder und verziert mit Messingbuckeln. Der Band enthält ein Kalendar auf Papier (S. 5–19), Satzungen auf Pergament (S. 7–108), Nachträge auf Papier (S. 111–113, 124); die ersten 24 Seiten von einer Hand geschrieben, mit Nachträgen, Randbemerkungen und Titeln von anderen Händen; danach mit anderer Tinte und dichterer Schrift weitere Einträge von Bestimmungen aus den 1530er- und 1540er-Jahren; zum Schluss Einträge mit Bestimmungen ab der Jahrhundertmitte. Der Pergamentteil ist versehen mit Zeichen der Landbuch-Revisionskommission. – Initialen kalligraphisch verziert, teilweise mit geflochtenen Bändern, Blüten und Gesichtern, die häufig in maiskolbenförmige Gebilde auslaufen.
Gebrauchszusammenhänge
Das «Ältere Landbuch» weist einige Gebrauchsspuren auf, jedoch im Vergleich zum Landbuch von 1585 klar weniger intensive. Die seitlichen unteren Ecken des Pergaments sind vom Umblättern etwas geschwärzt und speckig. Das Pergament weist stellenweise leichte Spuren von Feuchtigkeitseinwirkung auf, unter anderem bei den ersten Blättern mit der Eidesbelehrung und den Eidformeln. Die Feuchtigkeitsspuren deuten darauf hin, dass man dieses Landbuch unter freiem Himmel verwendet hatte, beispielsweise an der Landsgemeinde. In den Landrechnungen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden zudem mehrere Zahlungen erwähnt für das Vorlesen aus einem Landbuch in den Rhoden im März 1523, Juli 1527, Dezember 1528, Juni 1532, Mai 1533 und Mai 1534.
Abschriften und Editionen
Abschriften
Vom «Älteren Landbuch» sind in den appenzellischen Archiven keine Abschriften bekannt, was jedoch nicht zwingend bedeutet, dass es keine gegeben hat.
Erste Edition des ältesten Appenzeller Landbuchs
Appenzellisches Landbuch vom Jahre 1409. Ältestes Landbuch der schweizerischen Demokratien, mit Erläuterungen, hg. v. Johann Baptist Emil Rusch, Ratsherrn und Landesarchivar zu Appenzell, Mitglied mehrerer gelehrter und gemeinnütziger Gesellschaften, Zürich 1869.
Versionen der Rechtsquellenedition des ältesten Appenzeller Landbuchs
Im August 2009 erschien der erste Band der Rechtsquellen der Kantone Appenzell, die Appenzeller Landbücher (SSRQ AR/AI 1) von Nathalie Büsser, als Druck in der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die retrodigitalisierte Version des Drucks wurde 2011 unter der XIII. Abteilung auf SSRQ online publiziert. Die ins XML-Format konvertierten FrameMaker-Daten wurden mit TEI ausgezeichnet, und die digitalisierte Version des ersten Appenzeller Landbuchs ging 2013 online. Dieselbe Version liegt in Monasterium vor.
Inhalt des «Älteren Landbuchs»
Die rechtlichen Bestimmungen sind im «Älteren Landbuch» teilweise thematisch geordnet und kategorisiert. So betrifft eine erste grössere Gruppe von Satzungen am Anfang des Buches Fragen der Friedenssicherung. Zwei folgende Gruppen enthalten Regelungen zum Erbrecht sowie zur Beilegung von Konflikten um landwirtschaftlichen Besitz und Nutzungsrechte. Die weiteren Einträge sind nicht mehr nach inhaltlichen Kriterien angeordnet. Die Titel über den Bestimmungen fassen übrigens nicht immer einfach den gesamten Inhalt eines Artikels zusammen, sondern greifen zuweilen nur Einzelaspekte auf, setzen andere Akzente oder interpretieren eine Satzung gar neu. Erwähnt sei noch das besondere appenzellische Verständnis von liegendem und fahrendem Gut: Zinstragendes Kapital (Zinsbriefe, Gülten, Zedel, Schuldforderungen auf Immobilien) und fechgmainden – die lokale Form der Viehpacht – wurden zum liegenden Gut gezählt.
Das «Ältere Landbuch» umfasst in etwa 145 Absätze mit rechtlichen Normen. In etwa zwei Dritteln davon wird das Organ, das einen Beschluss gefasst hat, erwähnt: In 34 Fällen ist es die Landsgemeinde, in 40 Fällen ein Ratsgremium (meist der Zweifache Landrat), und in 14 Fällen schufen Neu- und Alt-Räte «aus Gewalt» der Landsgemeinde hin eine Norm.
S. 29 – Frieden stiften (Frieden «aufnehmen»).
S. 47–51, Art.1 – Einleitung; Belehrung über die Bedeutung des Meineids; Eidformeln des Landammanns, des Landweibels und der Landleute.
Art. 2 – Gericht (Vorladung der Parteien und Zeugen).
Art. 3 – Ordonnanz (Truppenordnung).
Art. 4–15, 18–19 – Friedenssicherung: im Zusammenhang mit Freveln, Drohungen, Hausfriedensbruch, Nachstellungen, ehrverletzendem «Zureden» und Schlägereien, Tätlichkeiten, Totschlag nach dem Friedenbieten, Lügebezichtigungen, in Konflikten vermittelnden Drittpersonen, ehrverletzendem Verleumden («Zureden»); Aschermittwochsordnung; Busse bei Totschlag (Richtung); «Aufnehmen» des Friedens und Halten des gebotenen Friedens.
Art. 20–23 - Ratsordnung, Friedenssicherung an Ratsversammlungen und vor Gericht: Geheimhaltung von Ratssitzungen; Redefreiheit im Rat («Rede aufheben»); an einer Landsgemeinde oder Ratsversammlungen dem Redner das Wort abschneiden; erhöhte Busse für Frevel vor dem Rat und Gericht; Verbot, in der Ratsversammlung Waffen auf sich zu tragen.
Art. 16 - Weg- und Strassenunterhalt.
Art. 17 - Wegzug aus dem Land (Pflicht zur Bezahlung von Gläubigern, Privatpfändung).
Art. 24 - Behandlung auswärtiger Gesandtschaften.
Art. 25 - Schenkungen und Vermächtnisse von liegendem Gut.
Art. 26–35, 126 - Erbrecht: Erbrecht der Eheleute; Morgengabe; Leibding; Vererben von Waffen und Harnisch; Erbrecht der Enkel; Erbrecht der Kinder unehelicher Eltern; gegenseitiges Vermächtnis der Eheleute; Erbrecht der Eltern.
Art. 36 - Abzug.
Art. 37 - Teilnahme an Kriegszügen, die den Interessen des Landes Appenzell zuwiderlaufen.
Art. 38–54 - Konflikte um landwirtschaftlichen Besitz und Nutzungsrechte: Flurkonflikte, Spangericht; Pflicht zur Errichtung von Zäunen zum Schutz angrenzender Äcker und Weiden; unbegründete Ansprache an liegendem Gut; Ersitzungsfrist von Gütern; Pflugwenderecht; frevlerischer Holzschlag; unbegründeter Holzanspruch; unbegründete Ansprüche auf Wegrechte; unberechtigte Wegnutzung, Verweigern des Wegrechts; unberechtigtes Weiden entlang von Güterwegen; Übermähen, -zäunen und -pflügen fremden Eigentums; gemeinsame Zäune; vorsätzliches, unabsichtliches und nächtliches Überweiden; nächtliches Beschädigen fremden Eigentums; Schlagen von Bäumen.
Art. 55–57 - Liegendes Gut: Verkauf von liegendem Gut (u. a. von Grundstücken, Liegenschaften und Obstbäumen) ausser Landes; Zugrecht der Landleute gegen Güter, die mit Bewilligung ausser Landes veräussert werden; Verkauf von Zinsbriefen ausser Landes, Zugrecht.
Art. 58–59 - Konkursrecht: Priorität einheimischer Gläubiger bei Konkursen; Eid des Falliten, das Land zu verlassen.
Art. 60–63 - Gerichtsordnung: Pflicht vor Gericht oder Rat zu erscheinen; Vorladung der Parteien und Zeugen, Zeugnisablegung; Urteilsvollstreckung; rechtlicher Schutz von ausgewiesenem Eigentum.
Art. 64 - Feuerrufen.
Art. 65, 69 - Seuchenkrankes Vieh.
Art. 66 - Aufrichten von Kauf- und Zinsbriefen.
Art. 67, 115 - Vormundschaft: Verkauf von Gütern und Dienstleistungen an Bevormundete; Käufe und Verkäufe durch Bevormundete.
Art. 68 - Frevel von Frauen.
Art. 70 - Appenzellische Gesandte, Entlöhnung und Pflichten.
Art. 71, 73–74 - Busseneinzug: bussfällige Frevel; Sicherstellen der Busse durch Pfand; Vorladung, Gassengerichtsverfahren.
Art. 72 - Ziegenhaltung.
Art. 75, 76 - Gerichtsordnung: Anhörung von Zeugen; Pflicht zur Zeugnisablegung.
Art. 77–80 - Schuldrecht: Pfandschätzung; Anfertigung von Pfandverschreibungen und Gülten; Abtreten laufender Schulden; Verkäufe auf erwarteten Erbfall.
Art. 81 - Eheähnliches Zusammenleben mit einer Frau («hübsch wib»).
Art. 82–83 - Fischfang und Jagd: Fischfangbeschränkung; Verbot der Jagd, des Fisch- und Vogelfangs für Hintersässen.
Art. 84 - Verbot, am Tag der Landsgemeinde Schulden zurückzufordern.
Art. 85 - Viehverstellungen.
Art. 86–87, 89 - Gerichtswesen: Hochgericht; Appellationen, Kompetenzen der Gerichte; geistliche Gerichte, Übernahme der Prozesskosten.
Art. 88, 90, 105 - Ehrverletzende Verleumdungen («Zureden»).
Art. 91 - Rechte und Pflichten von alt Landammännern.
Art. 92 - Friedenssicherung: Anzeigepflicht der Landleute von Straftaten, weiteres Verfahren, Gassengericht.
Art. 93 - Anzeigepflicht gravierender Verbrechen.
Art. 94–95 - Streitschlichten: Pflicht zu vermitteln und bei Auseinandersetzungen den Frieden zu «rufen».
Art. 96 - Kreditgewährung bei fahrendem Gut.
Art. 97 - Schuldrecht: Betreibung, Gant, Pfändung.
Art. 98 - Verkauf von Gütern mit ausstehendem Zins.
Art. 99 - Behandlung von Friedbrechern.
Art. 100 - Aufnahme ins Landrecht.
Art. 101, 118 - Busseneinzug: Pflicht des Landweibels, Bussen einzuziehen; Anteil des Landweibels an den Bussen.
Art. 102 - Widerlegung, Sicherung des Frauengutes.
Art. 103–104 - Liegendes Gut.
Art. 106–108 – Erbrecht: Erbrecht der Enkel und weiterer Verwandter; Erbzuteilungen vor dem Tod.
Art. 109 - Verjährung von Klagen.
Art. 110 - Busseneinzug bei Auswärtigen.
Art. 111–112 - Gülten: Schätzung des Unterpfandes beim Aufrichten von Zinsbriefen; Sicherung des Zinses durch die Felderträge des Guts.
Art. 113 - Nutzung des Leibdings.
Art. 114 - Nutzungsrechte ehelicher und unehelicher Kinder am Vermögen, Rückfallrecht.
Art. 116 - Kälberverkauf.
Art. 117 - Aufheben («Nachlassen») aller bestehenden Frieden durch die Landsgemeinde.
Art. 119 - Handel mit Milchprodukten.
Art. 120 - Aufrichten von Zinsbriefen auf bereits belasteten Gütern.
Art. 121 - Gefängniskosten.
Art. 122 - Stimmrecht der Kirchhören bei konfessionellen Angelegenheiten.
Art. 123 - Bestimmungen gegen das Spielen.
Art. 124 - Heiligung des Sonntags, Werktätigkeit.
Art. 125 - Verfahren vor Hochgericht.
Art. 127 - Busseneinzug: Einzug ausstehender Schulden, Schenkungen an Mittellose.
Art. 128 - Bei Konkursen dürfen Gläubiger, deren Unterpfand gedeckt ist, ihr Kapital und einen Zins beziehen.
S. 111f. - Aufbewahrung von Fahnen und Ehrenzeichen aus fremden Diensten.
S. 124 - Ehebruch und «Hurerei».
04/2015 Nathalie Büsser, Pascale Sutter