- Stifsgeschichte
Das in dem nördlichsten Theile des Herzogthums Salzburg gelegene weltpriesterliche Collegiatstift Mattsee gehört zu den ältesten kirchlichen Gründungen auf österreichischem Boden. Mit den Salzburger Klöstern zu St. Peter und Nonnberg, mit Mondsee, Kremsmünster, St. Florian und Innichen führt es seine Geschichte bis in die Zeiten der bairischen Selbständigkeit zurück; gemeinsam mit den Mitgliedern dieser Klöster sind auch die Benedictinermönche von Mattsee im 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung für die Ausbreitung des Christenthums und der deutschen Cultur thätig gewesen; bis an die Grenzen des alten Pannonien erstreckte sich ihr Besitz und ihre Wirksamkeit.
Das Vordringen der Magyaren, das die ersten Blüthen der Cultur in unseren Landen vernichtete, ist auch diesen Klöstern verderblich geworden; für Mattsee brachte es den Verlust seiner östlichen Besitzungen; der im Jahre 877 verfügten Verleihung der bisher königlichen Abtei an Oetting scheint kurze Zeit vor dem Siege der Magyaren über das bairische Heer im Jahre 907 die Vereinigung beider Klöster mit dem Bisthum Passau gefolgt zu sein. Gleichzeitig mit der Verleihung von Mattsee an Passau dürfte auch die Umwandlung des Benedictinerklosters in ein Collegiatstift erfolgt sein. Auch als solches hat Mattsee neben den anderen Stiftern der Passauer Diöcese stets einen hervorragenden Rang bewahrt; seine materiellen Verhältnisse aber waren seither so beschränkt, dass ihm die Grundlagen jeder politischen Rolle fehlten. Und so würde auch die geschichtliche Forschung keinen dringenden Anlass haben, sich mit dem Collegiatstift Mattsee zu befassen, wenn nicht daselbst einige geschichtliche Handschriften entstanden wären, die sowohl für die Geschichte von Mattsee, als auch für einige Perioden der deutschen Geschichte überhaupt von Bedeutung sind.
Mit den in den Klöstern des heutigen Niederösterreich entstandenen Annalen, die oftmals den wichtigsten Leitfaden für die Kenntniss der deutschen Geschichte bilden, lassen sich freilich die Geschichtsquellen von Mattsee nicht vergleichen, und auch den reichhaltigen Traditionscodices von Salzburg, Passau, Mondsee und anderen oberösterreichischen Klöstern hat Mattsee nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. Die Blüthezeit der historiographischen Thätigkeit unseres Stiftes fällt in das 14. Jahrhundert, also in eine Zeit, aus welcher uns so viele Urkunden erhalten geblieben sind, dass ihnen gegenüber der Werth annalistischer und anderer nichturkundlicher Quellen in den Hintergrund zu treten anfängt. Wenn trotzdem den Mattseer Quellen des 14. Jahrhunderts ein erheblicher geschichtlicher Werth nicht abgesprochen werden kann, so liegt der Grund hiefür zunächst in der Benützung älterer Quellen, deren Spuren uns nur durch sie erhalten sind. Das zu Anfang des 14. Jahrhunderts entstandene Mattseer Kalendar enthält nekrologische Notizen, welche bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen, und die grosse Annalencompilation, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Mattsee entstanden ist, hat uns Ueberreste bairischer Annalen des 13. Jahrhunderts erhalten, die in ihrer originalen Gestalt verloren gegangen sind. Aber auch für die Zeiten des 14. Jahrhunderts selbst sind die in Mattsee entstandenen geschichtlichen Arbeiten von grossem Werth. Indem die Mattseer Localchronik den Schicksalen und Inhabern der Veste Mattsee fast mehr Aufmerksamkeit schenkt als jenen des Stiftes, bietet sie uns von der Geschichte dieser ringsum von bairischen und salzburgischen Territorien eingeschlossenen Herrschaft des Bisthums Passau ein Bild, das als ein lehrreiches Beispiel für die Entwicklung der landesfürstlichen Macht in unseren Gegenden gelten kann.
Die geographische Lage des Stiftes und seiner Besitzungen brachte es ferner mit sich, dass Mattsee mit vier benachbarten Fürstenthümern, den Bisthümern Salzburg und Passau und den Herzogthümern Oesterreich und Baiern, in vielfache Berührung kam. Dieser Umstand ist es, der den Mattseer Annalen des 14. Jahrhunderts ihren besonderen Werth verleiht.
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Zeit bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts und bezweckt nur jene Mattseer Geschichtsquellen auszubeuten, welche auf die Geschichte des Stiftes und der Herrschaft Mattsee Bezug haben; die Besprechung der Annalencompilation soll einer anderen Stelle vorbehalten bleiben. In der folgenden Beschreibung der Handschriften lässt sich freilich die Besprechung der für die allgemeine Geschichte in Betracht kommenden Theile nicht von jener der blos localgeschichtlichen trennen.
Hingegen wird sich in der Edition und den hieran zu knüpfenden Erläuterungen hier und dort eine so verschiedene Behandlung als nothwendig erweisen, dass die Trennung der beiden Stoffe wohl gerechtfertigt sein dürfte.Allen Jenen, die durch Rath und That das Zustandekommen dieser Arbeit befördert haben, spreche ich hier meinen wärmsten Dank aus, vor Allen meinem hochverehrten Lehrer Herrn Hofrath Ritter von Zeissberg, dem ich die Anregung zur Inangriffnahme dieses Themas verdanke, dann dem hoch würdigen Herrn Schulrath P. Willibald Hauthaler zu St. Peter, den Herren Beamten des Haus- , Hof- und Staatsarchivs und der Hofbibliothek in Wien, sowie jenen des Regierungsarchivs und der Studienbibliothek in Salzburg.
Die werthvollste Förderung aber haben meine Bestrebungen in den Mauern des ehrwürdigen Stiftes Mattsee selbst gefunden. Mögen Se. Hochwürden der der zeitige Vorstand des Stiftes, Herr Propst Josef Dum, der mir in entgegenkommendster Weise die Benützung von Archiv und Bibliothek gestattet hat, und mögen alle jene Herren Capitularen, die mir mit ihren Kenntnissen hilfreich an die Hand gegangen sind, diesen Baustein zur Geschichte ihres Stiftes als ein Zeichen des Dankes freundlich entgegennehmen.Der weitaus grösste Theil der hier verzeichneten Urkunden ist bisher weder im Wortlaut, noch auszugsweise bekannt gemacht worden. Wäre es mir also leicht gewesen, mich nur auf die bis jetzt in keiner Weise publicirten Stücke zu beschränken, so schien es mir doch besser, auch einige schon gedruckte Urkunden mit aufzunehmen, welche in einer Sammlung von Mattseer Urkunden ungern vermisst werden würden.
Mit Absicht sind hingegen jene Kaiserurkunden übergangen worden, welche von der Abhängigkeit des Stiftes von dem Kloster Oetting und weiterhin von dem Bisthum Passau Zeugniss ablegen; denn sie sind hinlänglich bekannt, und die Mattseer Quellen bieten keinerlei neue Ueberlieferungsformen für diese Diplome.Die langen Zwischenräume, in denen diese Arbeit und insbesondere die Sammlung der Regesten zu Stande gebracht wurde, hat manche Unregelmässigkeiten zur Folge gehabt, die sich bei dem endgiltigen Abschluss ohne erhebliche Verzögerung nicht mehr beseitigen liessen. Dazu gehört auch die häufige Anwendung von Doppelnummern, welche ohne Rücksicht auf inneren Zusammenhang der Stücke dort angewendet wurden, wo es galt, nachträglich gefundene Urkunden in die zeitliche Ordnung einzufügen. Ich habe von der Durchführung einer einheitlichen Zählung hauptsächlich deshalb Abstand genommen, weil dadurch eine Umarbeitung des schon vorher fertig gestellten Namenregisters nöthig geworden wäre, durch welche dessen Genauigkeit vermuthlich einigermassen gelitten hätte.Die in den Urkunden überlieferten Formen der Orts- und Personennamen habe ich im Allgemeinen auch in den Regesten beibehalten. Jedoch bin ich von dieser Regel bei den lateinischen Urkunden abgewichen, da deren Namensformen geringeres sprachliches Interesse bieten und in den deutsch gefassten Regesten nur störend wirken würden. Im Register sind dennoch auch diese Formen aufgenommen.
Wilhem Erben, Quellen zur Geschichte des Stiftes und der Herrschaft Mattsee (=FRA II/49, Wien 1896) 1-3, 98-99