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- Streiflichter durch die Geschichte des Stiftes Rein:
- Bestandsgeschichte der Urkunden
- Kopialbücher und Repertorien:
- Kurzgefasste Urkundenlehre (Diplomatik)
15 km nordwestlich der Landeshauptstadt Graz liegt das Zisterzienserstift Rein, am Fuße des Ulrichsberges, der vom Plesch (1063m) überragt wird. Die fruchtbare Gegend ist ein uralter Siedlungsboden. Der Name „Rein, Reun“ oder lateinisch „Runa“ ist slawischen Ursprungs und bedeutet die Talebene (slaw. Rauna). Die Gründer der Salzburger Kirche, die hll. Rupert und Virgil, begannen im frühen 8. Jahrhundert Kärnten und die „karantanische Mark“ (Steiermark) zu missionieren; beide Länder waren bis 1786 dem Salzburger Erzbischof und seinen Suffraganbischöfen zugeordnet.
Gründung des Zisterzienserordens:
Das abendländische Mönchtum geht auf den hl. Benedikt von Nursia (um 480 – 547) zurück, der seine Mönche als Abt in einem Kloster leitete und als Lebensform eine Regel gab. Der Zisterzienserorden wurde im Jahre 1098 in Citeaux (lat. „Cistercium“), Diözese Chalon-sur-Saone (heute Diözese Dijon, Frankreich) vom Benediktinerabt Robert von Molesme (+1108) gegründet, der bewusst auf die ursprüngliche Strenge und Einfachheit der benediktinischen Regel zurückgreifen wollte und daher die feudale Entwicklung des cluniazensischen Mönchtums ablehnte. Einfaches Leben, Wiederherstellung des von Benedikt beabsichtigten Gleichgewichts von Gebet und Arbeit („Ora et Labora“) waren das Ideal dieses Reformzweiges des Benediktinerordens. Durch den Beitritt des späterhin berühmten Bernhard von Clairvaux (+1153) gewann der Orden größeres Ansehen. Der dritte Abt von Clairvaux, der hl. Stephan Harding, verfasste für die vergrößerte Gemeinschaft die „Charta Caritatis“ (Charta der christlichen Liebe, eine Art Ordensverfassung), die 1119 von Papst Calixt II. bestätigt wurde. Dadurch gestärkt und gefestigt, erlebte der Orden einen ungemeinen Aufschwung – nicht zuletzt auch durch das Laienbrüderinstitut (Konversen) – so dass um die Mitte des 13. Jahrhunderts der Orden bereits 1800 Abteien in ganz Europa zählte.
Die einzelnen Klöster wurden nach dem Filiationsprinzip gegründet, d.h. ein Kloster schickte zwölf Mönche und einen Abt zur Gründung eines Tochterklosters aus, das der Abt des betreffenden Mutterklosters („Pater immediatus“) zu visitieren hatte. Doch immer blieb der der Abt von Citeaux das Ordensoberhaupt. Heute sind die Zisterzienserabteien in Kongregationen nach Ländern bzw. historischen Entwicklungen zusammengefasst. So besteht die Österreichische Zisterzienserkongregation aus acht selbständigen Abteien: Rein, Heiligenkreuz, Neukloster, Zwettl, Wilhering, Lilienfeld, Schlierbach und seit kurzem auch Hohenfurt (Vyssi Brod in Teschechien). Stams gehört der Kongregation von Mehrerau (Vorarlberg) an. Der Generalabt (Sitz in Rom) visitiert die Klöster auf der ganzen Welt abwechselnd mit dem Abtpräses oder Vaterabt der jeweiligen Kongregation.
Gründung des Klosters Rein:
Rein wurde als die 38. Zisterze des Ordens im Jahre 1129 gegründet. Heute hat es den ehrenvollen Platz des ältesten bestehenden Zisterzienserklosters der Welt, da alle vor ihm gegründeten durch die Französische Revolution bzw. durch die Säkularisation in Deutschland untergegangen sind. Der erste Abt von Rein, Gerlach, kam nach der Klostertradition am 25. März 1129 mit der ersten Kolonie, die Abt Adam von Ebrach im Steigerwald (heute Diözese Erzdiözese Bamberg) aussandte, nach Rein. Markgraf Leopold der Starke von Steyr, aus dem Hause der Traungauer, hatte sich entschlossen, im Reintal ein Zisterzienserkloster zu gründen und trat wohl schon 1128 mit dem Kloster Ebrach, das selbst erst 1127 von Morimond (Burgund) besiedelt worden war, in Verhandlungen bezüglich einer Tochtergründung. Abt Gerlach begann mit seinen Mönchen im rasch aufgeführten „Notkloster“ am 8. September 1130 das klösterliche Leben. Zum Lebensunterhalt der Mönche hatte Markgraf Leopold jene Güter gewidmet, die er vom Erbe des Grafen Waldo von Rein im Reintal, zu Langwiesen und zu Stangersdorf bekommen hatte. Nach dem Tode des Gründers Leopold (+ 26. Oktober 1129) förderte und vollendete seine Witwe Sophie – eine Tochter des Welfenherzogs Heinrich des Schwarzen von Bayern – die begonnen Stiftung. Die kirchliche Bestätigung erfolgte 1138 (siehe Urkunde, Sign. A I/5): Die Urkunde vom 22. Februar 1138 berichtet, dass das Kloster Rein in feierlichster Weise dem Abt und seinen Mönchen ins freie Eigentum übergeben (Traditio) und diese Stiftung von Erzbischof Konrad I. von Salzburg in Gegenwart der Markgräfin Sophie, ihres Sohnes Otakar III. und des Bischofs Roman von Gurk bestätigt worden ist (Confirmatio). Rein gilt von diesem Datum an als selbständiges Kloster. Es war aber nicht nur Tochterkloster von Ebrach, sondern wurde selbst auch Mutterkloster von vier Klöstern: Sittich (1136), Wilhering (1146, wurde aber 1185 von Ebrach neu besiedelt), Neukloster (1444) und Schlierbach (von Rein 1620 neu besiedelt).
Beispiele und Akzente wirtschaftlicher Eigenart und Tüchtigkeit
Klöster von der Größe Reins waren seit jeher nicht nur Mittelpunkte des religiös-kontemplativen Lebens, sondern zugleich auch Wirtschaftszentren ersten Ranges. Die Land- und Forstwirtschaft stellte bis ins 18,/19.Jahrhundert den wichtigsten Wirtschaftszweig dar; daneben entfalteten die Zisterzienser große Aktivitäten im Bergbau (Salzbergwerk Aussee; siehe die Urkunde von 1147,
A I/10), im Handwerk, Gewerbe und Handel. In der Waldkultur leisteten die Zisterzienser Großartiges, da die Trockenlegung von Sümpfen und Lichtung dichter Wälder zur Gewinnung von Kulturland eine ihrer ursprünglich wichtigsten Aufgaben war. Stieg die europäische Bevölkerung von etwa 28 Millionen im Jahre 1000 auf ca. 74 Millionen im Jahre 1300, war es unter diesen Umständen einfach unerlässlich, die landwirtschaftlichen Nutzflächen durch Rodung kräftig auszuweiten. Das Kloster Rein ist schon im 12. Jahrhundert durch Schenkungen in den Besitz großer Forste gekommen. Die zwei bedeutendsten sind Schenkungen König Konrads III. in den Jahren 1144 (A I/7) und 1146 (A I/9) durch die das Stift das Dorf Werndorf im südlichen Grazerfeld und das Waldland zwischen den Flüssen Söding und Übelbach bekam. Ferner erhielt es vom letzten Traungauer, Otakar IV., der 1180 Herzog wurde, die Alpe „Gotenveld“ (Hirschegg), welche Schenkung der Babenberger Herzog Leopold VI. Im Jahre 1210 (A II/14) bestätigte.
Die intensive Rodungstätigkeit im 12. Jahrhundert wurde aber in der Regel nicht mehr von Leibeigenen, sondern vielmehr von bäuerlichen Untertanen geleistet. Unter den Ordensgemeinschaften hatten die Zisterzienser dieser Entwicklung durch die Gründung ihres Konverseninstitutes Rechnung getragen. Da die Zisterzienser des 12. Jahrhunderts nicht vom Zins höriger bäuerlicher Untertanen leben wollten („nicht vom Schweiße anderer leben“), hatten sie in ihrer Ordensregel den Laienbrüdern (Konversen), die überwiegend körperliche Arbeit leisteten, eine besondere Stellung eingeräumt, die sie den Priestermönchen weitgehend gleichstellte. Dadurch wurde der Wert der körperlichen Arbeit gesellschaftlich bedeutend gehoben und im religiösem Verständnis „geadelt“ Auf die Landbewohner übte die Lebensform der zisterziensischen Laienbrüder eine beträchtliche Anziehungskraft aus. Bisher war es für Bauernsöhne aus materiellen und sozialen Gründen nicht möglich gewesen, in den Mönchsstand einzutreten. Konverse zu werden, eröffnete ihnen nun die Möglichkeit, die conversio (Bekehrung) zum Mönchsdasein mit einer Tätigkeit im vertrauten bäuerlichen Bereich zu verbinden. Entsprechen der strengen Ordensregel erfolgte im 12. Jahrhundert die Bewirtschaftung der Reiner Stiftsgüter (meist) in Eigenregie. Zu diesem Zwecke errichteten die Mönche zahlreiche Grangien (lat. grangia Maierhof; lat. granum das Korn), die nur von Konversen mit bezahlten weltlichen Lohnarbeitern (mercenarii) bewirtschaftet wurden. Allerdings gibt es keine Gesamtliste der Reiner Grangien, wohl aber mehrere Listen über die Gutsämter, die aus ihnen hervorgingen; P. Leopold Grill nahm daher 40 Grangien an: u.a. Werndorf, Langwiesen, Schirningtal-Maierhofen, Strassengel, Judendorf und die Steinfeld-Grangie in Weikersdorf (Münichhof =Mönchshof), deren Liegenschaften 1146 der Kreuzfahrer Heinrich von Dunkelstein (NÖ. bei Gloggnitz) dem Kloster Rein schenkte (siehe die Urkunde 1146 Juni 16, Stang, Sign. A I/8). Die Grangien waren auch für die Entstehung von Dörfern und Pfarren von Bedeutung. Die Freiheit von der Zehentverpflichtung ist auch ein Hauptanzeichen des ehemaligen Grangienbesitzes. Neue Bauerngüter entstanden in der Umgebung Reins, insbesondere im Bergland zwischen Mur und dem Södingtal.
Mit dem auslaufenden 12. Jh. endet auch die Erwerbung großer geschlossener Besitzungen. Rein verfügte nun in der unmittelbaren Umgebung des Klosters über einen ziemlich geschlossenen Besitzkomplex, der von der Mur im Osten bis ins Södingtal im Westen reichte und der größtenteils kaum besiedelt war. Die Reiner Zisterzienser haben sich auch bleibende Verdienste mit der Besiedlung der Mittelsteiermark südlich der Gleinalpe erworben: so hatte sich die Besiedlungsdichte im Reiner Verwaltungsamt Geistthal, das die heutigen Katastralgemeinden Eggartsberg, Sonnleiten, Geistthal und Kleinalpe umfasst, auf einer Fläche von 36,4 km² von den Jahren 1146 bis 1348 etwa versechsfacht. Ähnlich auch in den Verwaltungsämtern zwischen Mur und Södingtal (Stübing und Gschnaidt).
Einen großen wirtschaftlichen „Aderlass“ gab es in der Zeit der Türkenkriege im 16. Jahrhundert durch die Quart: der vierte Teil der Gülten musste als Türkensteuer an den Landesfürsten abgeliefert werden und durch Reiner Kommenataräbte, die Stiftsgüter verschleuderten. Die wirtschaftliche Konsolidierung Reins wurde unter den Äbten Bartholomäus von Grudenegg (1559-77) und Georg Freyseisen (1577-1605) erfolgreich durchgeführt.
Nach Auflösung der Grundherrschaften im Jahre 1848 wurden die Haupteinnahmequellen die Forstbetriebe. Heute hat das Stift Rein 2000 ha Eigenwald.
Stift Rein als geistliche Grundherrschaft:
Das alte Herzogtum Steiermark war bis zur Auflösung des Untertanenverbandes im Jahre 1848 von einem dichten Netz zahlreicher geistlicher und weltlicher Grundherrschaften verschiedener Größe – zuletzt 973, davon an die 650 in der heutigen Steiermark – überzogen.
Stift ist mehr als Kloster. Es umfasst nicht nur den spirituellen Bereich, sondern auch den säkularen. Voraussetzung dafür war die Dotierung des Stiftes mit einer Grundherrschaft. Der Abt, der auch Mitglied des Prälatenstandes im Stiermärkischen Landtag war, übte nicht nur die Disziplinargewalt über sein Kloster aus, sondern auch öffentliche, d.h. staatliche Rechte (Verwaltungsrechte, Polizeigewalt, niedere Gerichtsbarkeit) über seine Untertanen, die im Bereich des stiftlichen Grund und Boden angesiedelt waren. Ihnen wurde der Grund zu Leihe ausgegeben, für den sie der Herrschaft zinsten. Das Verhältnis des Grundholden zum Grundherrn äußerte sich im Besitzrecht, welches ihm zugestanden wurde. Während das sog. Freistiftrecht das schlechteste Besitzrecht darstellte – er konnte jährlich von seinem Hof abgestiftet d.h. entlassen werden – war das sog. Kaufrecht (vergleichbar mit einer mietergeschützten Wohnung) das bessere, das sich allgemein in den geistlichen Grundherrschaften durchsetzte, so dass das geflügelte Wort entstand: Unter dem Krummstab ist gut leben. Stift Rein war auch Steuerbezirksobrigkeit (Vorläufer der Bezirkshauptmannschaften) über 10 Steuergemeinden.
Stift Rein im Zweiten Weltkrieg:
Im Jahre 1941 wurde Stift rein von der Gestapo beschlagnahmt und 1942 enteignet. Die Mönche wurden aus dem Kloster gewiesen mit Ausnahme des Pfarrseelsorgers. Enteignet wurde auch der Grundbesitz der dem stifte inkorporierten Pfarren. Die übrigen Stiftsmitglieder wurden als Seeslorger bei den zum Stift gehörigen Pfarren verwendet. Der Konvent hat sich also nicht aufgelöst, sondern sich nur auf die Stiftspfarren verlagert. Der damalige Abt Ernst Kortschak machte gegen den Enteignungsbescheid des Reichsministerium für Inneres am 25. Februar 1942 seine Vorstellungen und führte u.a. folgendes an: „Nachdem die röm. kath. Kirche im Deutschen Reich als Konfession staatlich anerkannt und ihren Gläubigen freie Religionsbetätigung gewährleistet ist, kann aus der bloßen Tatsache, daß Vermögenswerte der Abhaltung des röm.kath.Gottesdienstes, der Ausübung der Seelsorge, der Unterbringung der Priester und der Amtsräume und der Sicherstellung des Lebensunterhaltes der Seelsorger gewidmet waren, unmöglich der Schluss gezogen werden, diese Vermögenswerte hätten volks- und staatfeindlichen Bestrebungen gedient ...“ 1944 betrug der Personalstand des Stiftes Rein 25 Ordensgeistliche, davon vier im Waffendienst und im Sanitätsdienst, ferner im Wehrdienst stehende vier Ordenskleriker und drei Laienbrüder.
In den Jahren bis 1945 diente das Stift verschiedenen NS:Zwecken und wurde als Gaugut geführt. In die Stiftskirche und in die Konventgänge hatten die nationalsozialistischen Führer ihre persönliche Habe aus Graz verlagert, auch die Garderobe des Stadttheaters war in die Stiftskirche verlagert worden. In den Wäldern in der nächsten Umgebung des Stiftes hatte die russische Besatzungsmacht die vorgefundene deutsche Munition zusammengeführt und durch riesige Sprengungen vernichtet. Dadurch wurden große Waldbestände schwer beschädigt. Auch das Stift erlitt durch die Explosionen schwerste Bauschäden. Durch das NS-Regime und durch die dreiwöchige russische Besatzung ist das Stift Rein schwerst getroffen worden, die Landwirtschaft ausgeplündert und die Waldungen in den besten Holzlagen überschlägert. Dazu kam noch der Verlust der stiftischen Weingärten im Jahre 1945 auf damaligen jugoslawischem Gebiet (heute Slowenien). Rein besaß dort in den Gerichtsbezirken Marburg, Oberradkersburg und in Luttenberg Weingärten im Ausmaß von 81,9019 ha, die auf neun Winzereien verteilt waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte geradezu eine Euphorie des Aufbauwillens in materieller und spiritueller Hinsicht. Der feierliche Einzug der Patres in das Stift erfolgte am Sonntag nach dem St. Bernhardstag (25. August) 1946. Unter Gebeten und religiösen Liedern zogen die Mönche von Maria Straßengel nach Rein; etwa 3000 Personen säumten am Wegesrand diese einmalige Prozession.
Pfarrseelsorge des Stiftes Rein:
Im Jahre 1607 wurde dem Stift Rein die Erzpriesterpfarre Gratwein mit ihren sieben Vikariaten inkorporiert, aus denen sich im Laufe der Zeit 13 Stiftspfarren herausgebildet haben nämlich: Gratwein, Gratkorn, Rein, (Stiftskirche ist ab 1786 zugleich auch Pfarrkirche), Semriach, Stübing, Überlbach, Deutschfeistritz, st. Pankrazen, Stiwoll, St. Bartholomä a.d. Lieboch, St. Oswald bei Plankenwarth, Straßengel (Expositur) und Thal. Die inkorporierten Pfarren gehören zwar nicht zum ursprünglichen Bild der Klöster, haben sich im Laufe der Jahrhunderte aber als kirchlich sinnvoll erwiesen und gehören gegenwärtig zum Typus der österreichischen Stifte. 1804 wurde Rein zum Dekanat erhoben.
2. Das Stiftsarchiv Rein – Aufbewahrungsort der Urkunden:
Das Wort „Archiv“ leitet sich ab vom Lateinischen „arca“ und bedeutet Truhe, Kasten, ein sicherer Ort; aus dem Griechischen: „arche“ (Behörde); „archeion“ bedeutet ursprünglich das öffentliche Gebäude (Amtshaus), in dem Amtsschriften aufbewahrt werden.
Geistiges Bewahrungszentrum eines jeden Stiftes ist das Archiv, in dem sich die ganze wechselvolle Geschichte widerspiegelt. Das Kloster Rein kann auf Grund seines fast 900jährigen ununterbrochenen Bestehens – von der Gründung im Jahre 1129 bis heute – auf eine besondere Geschlossenheit seiner Archivbestände hinweisen. Es zählt zu den größten Privatarchiven Mitteleuropas. Dazu kommt der glückliche Umstand, dass das Stiftsarchiv Rein sich bis auf unsere Zeit seit 400 Jahren in denselben zwei Räumlichkeiten aus den Jahren 1501 bzw. 1517 befindet.
Diese Depots zur Aufbewahrung des Archivgutes sind ideal: meterdicke Mauern, spätgotisches Gewölbe (natürliche Temperaturregelung), Holzschrank für die Urkunden, natürlicher Luftaustausch durch nicht ganz schließende Fenster. Weder Pilzbefall noch Bleipest oder andere sonstige schädliche Einflüsse, die sich aus einem ungünstigen Raumklima ergeben könnten, sind am Archivgut feststellbar. Die hier vorliegenden 892 Urkunden von 1129 bis 1600 sind bedeutsam für die Landwerdung der Steiermark, für die Kirchengeschichte, für die Rechtsgeschichte, sowie für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
Ursprünglich verwahrte man die Urkunden über erworbene und bestätigte Rechte und Freiheiten, Kaufverträge und Schenkungen wie einen Schatz in einer versperrbaren Truhe, die sich wegen der Wichtigkeit dieser Schriftstücke in der Nähe der Prälatur (Abtwohnung) befand. Um gegen Anfechtungen in Privilegien und Besitzfragen gerüstet zu sein und die entsprechenden Urkunden im Streitfalle als Beweisstücke vorlegen zu können, war jeder Abt naturgemäß an einem geordneten Archiv interessiert.
Als man infolge des zunehmenden Verwaltungsaufwandes und der daraus resultierenden vermehrten Schriftlichkeit in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. mit einer Truhe für die Archivalien (Inv. von 1568 fol. 49: ein versperrtes Trüchel, darinnen sein mancherlay briefliche Urkunden) nicht mehr das Auslangen fand, adaptierte Abt Georg Freyseisen (1577-1605) das Erdgeschoss der ehemaligen Prälatur als Archiv.
Der älteste Ordnungsplan stammt aus der 2. Hälfte des 14. Jhs. und ist auf drei losen Papierblättern verzeichnet, der die Aufschrift führt: „Descriptio brevis privilegiorum ac litterarum de bonis Runensis monasterii...“ (Kurze Beschreibung der Privilegien und Urkunden über die Güter des Klosters Rein). Er führt die Urkunden nach dem Alphabet an in 36 Abteilungen verteilt und jede Abteilung ist mit einem Buchstaben versehen. Dieses Einteilungsprinzip war ein zweifaches: der persönliche Rang des Urkundenausstellers und die Ortslage der Objekte, von denen in den Urkunden gehandelt wird: So enthalten die Abteilungen A und B die Papsturkunden und jene Urkunden, die von den Salzburger Erzbischöfen ausgestellt wurden; ferner die weltlichen Fürsten und in den folgenden Abteilungen sind die Urkunden nach der örtlichen Lage ihrer Objekte geordnet.
Diese Einteilung scheint bis Ende des 16. Jhs. in Verwendung gewesen zu sein. Die Urkunden-Repertorien der Äbte Angelus Manse (1399 – 1425) und Hermann Molitor (1439 – 1470) sind darnach gearbeitet. Wahrscheinlich ist auch Abt Angelus der Urheber dieser Einteilung.
Im 16. Jh. finden wir das Archiv durch einige Zeit in wirrem Zustand. Abt Martin Durlacher (1549-1559) vermochte in den verschiedenen Besitz- und Rechtstreitigkeiten, in die das Stift während seiner Regierung verwickelt war, die verlangten Original-Urkunden nicht immer gleich zur Vorlage zu bringen und beklagt sich bei dieser Gelegenheit öfters über die heillose Wirtschaft seiner Amtsvorgänger.
Abt Bartholomäus von Grudenegg (1559 – 1577) begann mit der wirtschaftlichen Konsolidierung, die der aus Krain stammende Abt Georg Freyseisen (1577 – 1605) fortsetzte und erfolgreich abschloss. Die meisten verkauften Güter konnte er wieder rücklösen und die Schuldenlast bis auf 1000 Gulden abtragen. Er führte auch eine klösterliche (stiftische) Verwaltungsreform durch, regelte die Kanzlei und Registratur neu und adaptierte das Stiftsarchiv in jenen Räumen, wo es sich heute noch befindet.
Erst Abt Maria Pittreich (1745 – 1771) ließ die Archivbestände vom pensionierten Stiftsanwalt Johann Jakob Holzer neu ordnen, der diese Arbeit im Jahre 1766 vollendete und einen umfassenden alphabetischen Archivkatalog anlegte; diese Neuordnung gilt heute noch, was die damaligen geordneten Bestände betrifft. Zu diesem Zweck wurden auch insgesamt 13 Archivschränke mit Laden angefertigt, die entlang der Wände, teilweise auch als Einbaukästen in den Gewölbenischen, aufgestellt wurden. Jeden dieser Schränke bezeichnete er mit einem Großbuchstaben, die eine Themengruppe beinhalten, wobei er die Urkunden von den Aktenstücken trennte.
Der Schrank „A“ enthält ca. 1000 Siegelurkunden in chronologischer Reihenfolge von der Gründung des Klosters bis 1800; unter den 20 erhaltenen Urkunden des 12. Jhs. sind 11, die von den Traungauern (Markgraf Otakar III. und dessen Sohn Otakar IV.) ausgestellt wurden; damit besitzt Stift Rein den größten Bestand von Traungauerurkunden in der Steiermark. Siehe dazu auch folgende Literatur: Othmar Wonisch, Über das Urkundenwesen der Traungauer. Eine diplomatische Untersuchung, Sonderdruck aus der Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 22,Jg. (1926), S.66-84. Maria Mairold, Ein Urkundeschreiber hinterlässt in steirischen Klosterbibliotheken seine Spuren, in : Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs Folge 48, Graz 1998, S.413-416.)
Die Hauptmasse der Urkunden stammt aus dem 14.Jh., nämlich rund 340. Der Erhaltungszustand der Originalurkunden ist ein sehr guter, sowohl im Beschreibstoff (Pergament) als auch die Siegel (Bienenwachs, Bleisiegel oder lateinisch „bulla“). Hervorzuheben sind die Urkunden von 1147, mit der das Stift Rein zwei Salzstellen bei Aussee geschenkt bekam und somit der früheste Beleg für den Salzabbau in der Steiermark ist, oder die Schenkung von drei Hofstätten in der Sackstraße in Graz im Jahre 1164, worauf der Reinerhof errichtet wurde, der das älteste Kaufhaus und urkundlich frühest genanntes Haus von Graz ist. Im Urkundenbestand befinden sich eine ganze Reihe von Papstbullen, darunter von Eugen III. (1151), ein Zisterzienser auf dem Papstthron oder Pius II. (1459), der das Kirchweihfest der Stiftskirche vom 9. November auf den Weißen Sonntag (erster Sonntag nach Ostern) verlegte; Pius II., vielleicht besser bekannt unter seinem „bürgerlichen“ Namen Aeneas Silvius Piccolomini, war päpstlicher Legat in der Steiermark und formell auch Pfarrer von Irdning. Von den anderen Würdenträgern erscheinen als Aussteller von Urkunden die Erzbischöfe von Salzburg, die Bischöfe von Seckau, Gurk, Lavant, Brixen etc.; Äbte von
St. Lambrecht, Wilhering, Lilienfeld, Sittich und Ebrach. Von den weltlichen Großen wären zu nennen die deutschen Könige Konrad III. (1144, 1146), Friedrich der Schöne (1314, 1316) und Friedrich IV. (1451) und als Kaiser Friedrich III. (1455), sowie die meisten traungauischen, babenbergischen und habsburgischen Landesfürsten und adeligen Familien. Besondere Erwähnung verdienen die größtenteils gut erhaltenen Siegel, so z.B. die Siegel der beiden letzten steirischen Otakare, die herrlichen Siegel Konrad III. und Rudolf des Stifters, die schönen Städtesiegel von Graz, Voitsberg, Bruck, Wien etc.
Die erste Urkunde mit Beschreibstoff Papier ist vom 15. Dezember 1392, ausgestellt in Bruck an der Mur (Sign. A VIII//17). Die erste Urkunde in deutscher Sprache ist die vom Jahre 1293 (Sign. A V/6)
Das älteste Urbar des Stiftes Rein vom Jahre 1395, bezeichnet mit dem Buchstaben D.
Für das Urbar D des Stiftes Rein verwendete man ebenfalls Papier als Beschreibstoff. Geschrieben vom Abt Angelus Manse; geboren 1357 in Pirna, Diözese Dresden-Meissen, trat er 1383 in Rein ein, wo er 1384 die Profess ablegte. Vor seiner Wahl zum 20. Abt von Rein am 7.6.1399 bekleidete er im Kloster die Ämter des „Cellarius maior“ und des „Bursarius“ (Rentmeister); in dieser Funktion legte er um 1395 dieses Urbar an, wenn seine Abfassung auch nicht ausschließlich in diesem Jahr erfolgt sein dürfte und schrieb daran mehrere Jahre, was bei der Arbeitsleistung, die zu seiner Anlage notwendig war, durchaus verständlich ist. Er starb am 11.8.1425.
Das Urbar besteht aus folgenden Teilen:
Das eigentliche Urbar: Pars Ia „censuale Repitorium“ (fol. 1 – 188´); bei jedem Amt werden die Grundkomplexe summarisch und die Untertanen mit ihren verschiedenen Zinsleistungen namentlich angeführt.
Äbtekatalog: fol. 189 – 190;
Urkundenkatalog: Pars 2 da „Literarum Repertorium“ fol. 192 – 239´.
Das Kopialbuch oder Chartularium des Abtes Hermann Molitor vom Jahre 1450; es hat einen Holdeckel mit Beschlägen und Schließen und das Format 29,4 x 22,5 cm; es enthält auf 161 foliierten Pergamentblättern 230 Urkundenabschriften, darunter auch einige, deren Originale nicht mehr vorhanden sind. Diese Urkundenabschriften weisen auch alle Merkmale der Originalurkunden – wie Initialen, Notariatszeichen oder sonstige Verzierungen – auf. Zweifel an der Richtigkeit dieser Urkundenabschriften von den Originalen waren so gut wie ausgeschlossen, da die Autorität eines Abtes nicht in Frage stand.
Dieses Kopialbuch trägt auf der Vorderseite des ersten Blattes die Aufschrift: „Anno dni MCCCCL compilatus est hic liber et rescriptus ab originalibus literis monasterii runensis per fratrem Hermanum venerabilem ibidem Abbatem“. Die Anordnung der Abschriften entspricht so ziemlich der ältesten Archiveinteilung; zu Beginn stehen die Urkunden der kirchlichen Würdenträger, dann folgen die der weltlichen Fürsten etc. Einige Abschriften wurden von einer späteren Hand an freigelassenen Stellen eingefügt. Es beinhaltet auch eine Müller- und Mahlordnung vom Jahre 1445. Auf fol. 56 befindet sich jene nicht mehr erhaltene Urkunde von 1129, Graz: Markgraf Leopold der Starke schenkt seinem Ministerialen Rudiger ein Gut bairischen Maßes in Hartberg mit der Bestimmung, dass es nach dessen unbeerbten Tod an das Kloster Rein zu fallen hätte. In dieser Urkundenabschrift findet sich auch die früheste Nennung von Graz und zwar in der Zeugenreihe: Dietmarus de Gracz.
Repertorium B und Nr. 8:
Abt Georg Freyseisen (+1605) nahm eine neue Einteilung des Archivbestandes vor. Er zerlegte ihn – Urkunden und Akten aber nicht getrennt – ebenfalls in 36 Abteilungen („Laden“) und bezeichnete die Abteilungen statt mit Buchstaben mit fortlaufenden Nummern. Auch die einzelnen Stücke oder Faszikel einer jeden Abteilung nummerierte er und versah die meisten Abteilungen nicht etwa mit der Nummer ihres Faches (Lade), sondern mit einem „Signo“ (Zeichen): entweder mit Buchstaben oder mit einem anderen oft wunderlichen Zeichen. Zwei gleichlautende Repertorien haben uns diese Einteilung erhalten. Irgend ein fester, leitender Plan lässt sich in dieser Ordnung nicht erkennen; ein Fortschritt war nur das alphabetische Register, das den Repertorien beigefügt ist. Die Regesten der Urkunden sind in deutscher Sprache abgefasst.
Collectaneum seu Diplomatarium Runense
Der für die Haus- und Ordensgeschichte so hochverdiente Stiftsarchivar P. Alanus, Franz Xaver Lehr (1709-1775) schrieb ab 1758 bis zu seinem Tod sein großes Geschichtswerk „Collectaneum seu diplomatarium Runense“ von der Gründung des Klosters Rein bis zum Jahre 1600; es umfasst fünf starke Foliobände mit je ca. 900 Seiten; er schrieb darin nicht nur die Urkunden und Aktenstücke des Stiftsarchivs in chronologischer Reihenfolge ab, sondern machte auch historische Notizen für jene Ereignisse, in denen er Zeitzeuge war. Lehr konnte aber sein Werk erst mit jenem Zeitpunkt beginnen, an dem das Archiv von Holzer geordnet war. Daher schreibt er in seiner Vorrede, der Leser möge sich nicht wundern, wenn er in seinem Alter herangeht, die Dokumente des Reiner Archivs zu sammeln, und weist auch auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hin, wenn er ferner bemerkt: „... weil ich diese Arbeit ja zu Recht mit dem großen und weiten Meer vergleiche, das ein Mensch nicht ausschöpfen kann, auch wenn er sich verjüngt“.
Editions/Regestenwerke:
Joseph von Zahn, Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark, 3 Bände, Graz 1875 – 1903. enthält Urkunden vom Jahre 798 bis 1260.
Hans Pirchegger, Otto Dungern, Urkundenbuch des Herzogtumes Steiermark, Ergänzungsheft zu den Bänden I bis III, in: Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark, Graz 1949.
Urkundenbuch des Herzogtums Steiermark, hrgg. Von der Historischen Landeskommission für Steiermark, 4. Band (4 Lieferungen): 1260 bis 1265 , Wien 1960 – 1971.
Regesten des Herzogtums Steiermark, hrgg. Von der Historischen Landeskommission für Steiermark, 1308 – 1319 und 1320 – 1330, Graz 1976, 1985, 2008.
Urkunde – Worterklärung:
Was ist eine Urkunde? - Eine Urkunde ist ein in bestimmten Formen abgefasstes Zeugnis über eine rechtliche Handlung. Das Wort „Urkunde“ kommt aus dem althochdeutschen „urchundi“ und bedeutet „Erkenntnis“ und auch „Zeugnis“. Im Spätmittelalter heißt die Urkunde einfach „brief“; lateinische Begriffe für „Urkunde“ sind „instrumentum“ oder „pagina“ (das Blatt), „diploma, charta, notitia“. Die Urkunden können alle möglichen Gegenstände mittelalterlichen Rechts- und Wirtschaftsleben enthalten: Schenkungsurkunden, Siftungsurkunden, Kaufverträge, Zehentbefreiungen, Privilegien.
Es gibt verschiedene Arten von Urkunden: zu den öffentlichen Urkunden zählen die Papsturkunden, die Kaiser- bzw. Königsurkunden und die Landesfürstlichen Urkunden (z.B. von Territorialfürsten). Die Gruppe der Privaturkunden umfasst alle Urkunden, die von geistlichen und weltlichen Würdenträgern ausgestellt sind, ferner Klosterurkunden, Urkunden von Städten, Universitäten und Bürgern.
Überlieferungsarten der Urkunden:
Eine Urkunde des Mittelalters kann als Original, Konzept, Kopie bzw. Abschrift oder als Registereintragung (z.B. in Kopialbücher, Chartularien) überliefert sein. Schon im Mittelalter gab es die Praxis, zur Sicherung des Urkundenbestandes Kopialbücher anzulegen, um so bei einem eventuellen Verlust einer Originalurkunde bei einem Rechtsstreit wenigstens die abschrift vorlegen zu können.
Arten von Urkundenfälschungen:
Aus dem Mittelalter ist eine erstaunlich hohe Zahl an Urkundenfälschungen überliefert, die aber häufig zu großen Teilen auf gültigen Urkunden beruhen.
Angebliches Original: Man beschaffte sich ein Ersatzstück, wenn das Original verloren ging.
Zweifelhaftes Original: Zweifel am Original der Urkunde.
Ein nicht vollzogenes Original: Merkmale: kein Siegel an der Urkunde (z.B. die Reiner Urkunde von 1530, Sign. A XIII/18).
Verunechtete oder verfälschte Urkunde: im Urkundentext hat man radiert und damit die Urkunde verfälscht; oder bei wahrem Rechtsinhalt hat man Zusätze beigefügt, die erfunden sind, um sich weitere Rechte oder Rechtsansprüche zu sichern (z.B. Reiner Urkunde vom Jahre 1146, Sign. A I/8).Oder wenn in der Urkunde Namen von Zeugen angeführt sind, die zum Zeitpunkt der angeblichen Ausstellung der betreffenden Urkunde noch gar nicht gelebt oder schon verstorben sind.
Gefälschte Urkunde: wenn der Rechtsinhalt der Urkunde total „erfunden“ ist.
Die Merkmale einer Urkunde:
Äußere Merkmale:
1.) Beschreib- und Schreibstoff: Hauptbeschreibstoff der Urkunde im Mittelalter ist Pergament; erst im 13, Jahrhundert finden sich vereinzelt schon Papier als Beschreibstoff; die früheste Papierurkunde im Urkundenbstand des Stiftes Rein stammt vom 15. Dezember 1392 (Sign.A VIII/17)
2.) Schrift: Majuskel und Minuskel; es habe sich bestimmte Zierformen entwickelt. Auf einer Urkunde können auch verschiedene Zeichen sein: Das Chrismon (C) verbunden mit einem Kreuz (C+) oder nur ein Kreuz zu Beginn der Urkunde; es bedeutet die Anrufung Gottes. (Dies kommt bei allen Reiner Urkunden des 12. Jahrhunderts vor).
Monogramm am ende des Textes der Urkunde; z.B. Monogramm des Königs Konrad III. an der Urkunde von 1144 (Sign.A I/7)
3.) Die Sprache: Die Urkundensprache ist lateinisch; erst im Laufe des 13. Jahrhunderts gibt es auch Urkunden, die in deutscher Sprache abgefasst sind. Die erste deutsche Urkunde im Stiftsarchiv rein ist aus dem Jahre 1293 (Sign.A V/6). Papsturkunden und Urkunden von geistlichen Würdenträgern sind aber weiterhin in lateinischer Sprache.
4.) Siegel: Grundsätzlich erhielten Urkunden seit dem 12. Jahrhundert nur durch das Siegel Glaubwürdigkeit. Der Besiegelungsstoff ist Wachs (Bienenwachs) entweder Naturbelassen oder mit Farbstoffen zugesetzt (grün, rot oder schwarz); Siegel aus Metall nennt man „bulla“; die Päpste siegelten hauptsächlich mit Blei, daher werden diese Urkunden auch Papstbullen genannt.
Arten der Besiegelung:
Aufgedrücktes Siegel („sigillum impressum“): das Pergament wird kreuförmig durchschnitten und das Siegel durchgedrückt und auf der Rückseite geglättet mit eingelegter Siegelplatte. Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand: 1144 (Sign. A I/7), 1164 (Sign. A II/1)
eingehängtes Siegel: Siegel wird mittels Pergamentstreifen oder Seidenschnüre in die Urkunde eingehängt; Beispiel: 1179 (Sign. A II/3).
Anhangendes Siegel („sigillum pendens“):
Das Siegel wird angehängt auf Pergamentstreifen oder Seidenschnüren, die an der Plica (d.i. der untere umgebogene Teil der Urkunde) befestigt ist. Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand:
1202 (A II/7): Rundsiegel des Erzbischofs Eberhard II. von Salzburg; 1256 (A III/28): auf Seidenschnüren anhangendes Reitersiegel Herzogs Ulrich III. von Kärnten; 1271 (A IV/18): Münzsiegel König Przemysl Ottokar von Böhmen. Unter „Münzsiegel“ versteht man die beiderseitige Prägung eines Siegels.
Innere Merkmale; Formular einer Urkunde:
1.) Eingangsformular
a) Invocatio verbunden mit der Anrufung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit (C+ „In nomine Sancte et Individue Trinitatis“); Beispiele Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand: 1144 (A I/7), 1146 (A I/8), 1157 (A I/13), 1164 (A II/1), 1179 (A II/3), 1202 (A II/7), 1210 (A II/14).
b) Intitulatio: Nennung des Ausstellers der Urkunde (meist mit Devotionsformel); z.B. 1147 Juni 8, Rein (A I/10): „... Ego Otakarus misericordi et permissione altissimi marchio Stirensis“ = Ich Otakar durch allerhöchste Barmherzigkeit und Erlaubnis Markgraf von Steier.
1144 März, Würzburg (A I/7): „Chunradus divina favente clementia Ronamorum rex...“ = Konrad durch göttliche Barmherzigkeit Römischer König.
1140 April 26 (A I/6): „Chonradus divina favente clementia sancte Salzburgensis ecclesie archiepiscopis...“ = Konrad durch göttliche Gunst und Barmherzigkeit Erzbischof der hl. Kirche Salzburgs.
c) Inscriptio: Benennung des Empfängers der Urkunde.
Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand: 1147 Juni 8, Rein (A I/10): „... fratres deo in cenobio Runensis servientes...“ = den Brüdern im Kloster Rein, die dort Gott dienen...
1157 Feb. 25, Metnitz (A I/13): „... Gerlao venerabili Runensium abbati et successoribus eius...“ = Dem verehrungswürdigen Reiner Abt Gerlach und seinen Nachfolgern.
1297 Sept. 14, Rein (A V/20): „... dem Chloster ze reun und der samenung...“ = dem Kloster zu Rein und dem Konvent.
d) Arenga: eine rhetorisch gehaltene Begründung des Rechtsgeschäftes der Urkunde. Beispiel in der reiner Urkunde König Konrads III von 1144 (A I/7): in deutscher Übersetzung: Weil es der freiheit der Herrscher anheim gegeben ist, den Bitten der Ordensleute ein geneigtes Ohr zu leihen und alles, was zum Dienste des Allerhöchsten gehört mit dem wohlwollendsten Eifer zu befördern, vermeinen Wir dadurch die würdige Vergeltung im ewigen Leben wie den Ruhm des irdischen Königtums zu mehren.
2. ) Kontext (Kern der Urkunde, bringt den eigentlichen Inhalt):
a) Publicatio: Das Rechtsgeschäft wird kundgetan; man wendet sich an die Öffentlichkeit.
Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand: 1144 (A I/7): „... omnium tam futurorum quam presentium ...“ = Allen sowohl der künftigen als auch den gegenwärtigen Personen …
1147 (A I/10): „Notum sit omnibus in Christo fidelibus ...“ = Es sei allen Christgläubigen kundgemacht...
1179 (A II/3): „Omnibus proinde lecturis et audituris hanc paginam fidelibus Christi tam presentis etatis quam future posteritatis ...“ = Allen Christgläubigen, die diese Urkunde lesen oder hören sowohl den gegenwärtigen als auch künftigen Personen …
1297 (A V/20): „... tun chunt an disen brieff allen den di nu sint und noch chunftlich werdent ...“ = Machen kund mit dieser Urkunde allen die jetzt sind und künftig sein werden.
b) Narratio: Erzählung des Tatbestandes, der Rechtsgrundlage und der Beweggründe, die zur Beurkundung führen. Diese kann in der Urkunde vorkommen. Muss aber nicht.
c) Dipositio: ist das Kernstück der Urkunde (eigentlicher Rechtsakt); die Zeitwörter sind: ich schenke, ich bewillige etc.; es ist dies das dispositive Verbum.
Häufig werden Schenkungen gleichsam zum Altar der hl. Maria in Rein gemacht aus „Sicherheitsgründen“ vor Anfechtungen und Rechtsstreitigkeiten. Wenn nun jemand dieses Rechtsgeschäft in einer Urkunde anfechtet, bedeutete dies Gottesraub und auf dieses Delikt waren dem Anfechter die höchsten Gottesstrafen gewiss. Beispiel in der Urkunde von 1147 (A I/10): „ … super altare sancte dei genetricis semperque virginis Marie in Rune ...“
d) Sanctio oder Poenformel: Strafandrohung bei Übertretung des Rechtsgeschäftes in der Dispositio. Es wurden z.B. Geldstrafen angedrohr: so in der Urkunde König Konrads III. von 1144 (A I/7) „centum libras“ (100 Pfund).
In der Papsturkunde von 1459 (A X/74) lautet die Sanktion folgendermaßen (in deutscher Übersetzung): Niemand soll es wagen Unsere Urkunde und Satzungen zu brechen. Wenn jemand diese brechen sollte, wird er erkennen, dass er der Ungnade des allmächtigen Gottes und seiner hll. Apostel Petrus und Paulus zum Opfer fallen wird.
e) Corroboratio: Beglaubigungsmittel mit Siegel und die Zeugenreihe.
3.) Schlussteil (Eschatokoll):
a) Unterschrift des Urkundenausstellers, Monogramm, „Vollziehungsstrich“, eine Art Unterschrift, wenn er nicht schreiben konnte. Beispiel dafür: Urkunde König Konrad III. von 1144 (A I/7).
b) Datierung: Nennung des Ortes und Zeitpunkt der Ausstellung der Urkunde.
Beispiele dafür im Reiner Urkundenbestand: 1144 (A I/7): „... Anno dominice incarantionis M.C.XL.III., indictione VII,. Regnante Cunrado Romanorum rex ii,. Anno vero regni eius VII. data Wirzeburch ...“ = Im Jahr der Menschwerdung des Herrn 1144, in der 7. Indiktion, unter der Regierung Konrads des Römischen Königs II., im 7. Jahr seiner Regierung, gegeben zu Würzburg.
Die Indiktion ist eine Römerzinszahl, ein 15-jähriger Zyklus; stammt aus dem alten Ägypten.
1297 Sept. 14, Rein (A V/20): „Der brief ist geben ze Reun nach Christes gepurt Tausent zwaihundert in dem siben und Neunzigisten iar an des Hailigen Chreutzestag der da ist genannt Exalto.“
c) Segenswunsch:
Beispiel in der Urkunde von 1144 (A I/7): „... in Christo feliciter amen“ = In Christus sei glücklich, so ist es.